Haushaltsrede für die Tübinger Linke im Gemeinderat am 9.1.2017

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Erste Bürgermeisterin,
sehr geehrter Herr Baubürgermeister, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
Vorab zu den Rahmenbedingungen unseres städtischen Haushalts.
Die Wirtschaft in Deutschland brummt. Die Steuereinnahmen sprudeln. Deshalb lehnen wir einen Stopp öffentlicher und kommunaler Investitionen ab.
Die internationale Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), – das ist bekanntlich keine linke Veranstaltung – , fordert von Deutschland entsprechend seiner Wirtschaftskraft mehr öffentliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur.
Und wir brauchen eine massive Stärkung der Binnennachfrage. Die starke Exportabhängigkeit Deutschlands birgt immer mehr Gefahren.
Angesichts von Brexit, einer stärkeren Binnenmarktorientierung Chinas, eines US-Präsidenten Trump und weiterhin schwächelnder Euro-Staaten ist es ein Gebot der Vernunft, die Binnennachfrage in Deutschland zu stärken. Dazu müssen die Kaufkraft breiter Bevölkerungsgruppen und die öffentlichen Investitionen massiv gestärkt werden. Das bedeutet: höhere Löhne vor allem im unteren Bereich. Der Mindestlohn zum Beispiel sollte umgehend auf zehn und dann in schnellen Schritten auf zwölf Euro erhöht werden. Vor allem muss eine Stärkung der Gewerkschaften in den Lohnrunden erreicht werden. Die Streikfähigkeit muss verbessert werden, indem Leiharbeit und sachgrundlose Befristungen verboten werden und Werkverträge nur noch mit Zustimmung des Betriebsrates vergeben werden dürfen. Kommunen und Gewerkschaften sollten dabei gemeinsam an einem Strang ziehen statt sich zu bekämpfen. Typische Frauenberufe wie Pflegekräfte, Erzieherinnen, Reinigungspersonal sind zu schlecht bezahlt – da müssen die Kommunen mit gutem Beispiel vorangehen.
Erforderlich sind öffentliche Investitionen vor allem im sozialen Wohnungsbau für Menschen mit niedrigem Einkommen. Wir brauchen Geld für mehr öffentliche, gemeinnützige und genossenschaftliche Lösungen statt auch in Tübingen die Renditeprojekte der Reichen ( siehe Beispiel Hofkammer Corrensstrasse, Finanzierung der 8- Sozialwohnungen) zu finanzieren. Bezahlbarer Wohnraum ist Aufgabe Numero 1 in Tübingen. Wir sollten uns deshalb dafür einsetzen, dass die GWG wieder gemeinnützigen Status erhält.

Oberbürgermeister Palmer hat im Juli angekündigt, im Haushalt bis zu 15 Millionen Kredite aufzunehmen, jetzt konkret 12,5 Millionen, damit die städtische Infrastruktur nicht verrottet. Man kann sich über die einzelnen Projekte gerne streiten, aber den Grundgedanken finden wir richtig. Das sind Zukunftsaufgaben, das kann man nicht auf die lange Bank schieben, dafür darf man Kredite aufnehmen.
Auch die berühmt-berüchtigte „schwäbische Hausfrau“ finanziert ihre Eigentumswohnung nicht aus der Sparbüchse sondern über Kredite.
Wenn Boris Palmer das Dogma der grün-schwarzen Null in Frage stellt, finden wir das richtig. Versteckte Altschulden in einer kaputten Infrastruktur sind eine noch größere Belastung für die nächste Generation als die Aufnahme von Krediten zu Niedrigst-Zinsen, wie wir sie derzeit haben. Sollen wir warten bis die Zinsen wieder steigen?? Wir sind ganz klar gegen die Verschiebung von wichtigen Baumaßnahmen! Wenn es dafür mehr Fachkräfte in der Verwaltung für Planung und Baurecht braucht, muss man sie halt einstellen.
Für uns gehören zu diesen aktuellen Aufgaben auch das Kinderhaus Hagelloch und die Sanierung der Kunststoffrasenplätze der Vereine.
Wir würden es auch begrüßen, wenn der Oberbürgermeister ähnlich wie der Landrat, bereit wäre, die strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen durch Bund und Land zu kritisieren.
Die Landesregierung knabbert die Kommunalen Kassen an und gibt Bundeszuschüsse nicht an die Kommunen weiter. Für Wohnungsbau, Flüchtlinge und Anschlussunterbringung, Bildung und Verkehrsinfrastruktur steht den Kommunen trotz zusätzlichen Steuereinnahmen zu wenig Geld zur Verfügung. Das haben der Städtetag und Landkreistag in Baden-Württemberg übereinstimmend und parteiübergreifend kritisiert. Ich finde aber, Kritik reicht nicht; die Bürgermeister sollten bei Herrn Kretschmann und Frau Merkel lautstark protestieren.
Und ich möchte Sie, Herr Oberbürgermeister Palmer auffordern, ihren medialen Einfluss, der bekanntlich weit über Tübingen hinausgeht, geltend zu machen und wenigstens die Forderungen ihrer eigenen Partei nach einer Vermögenssteuer zu unterstützten, einer Vermögenssteuer, die auch die Reichen und Superreichen angemessen beteiligt an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben. Die Bekämpfung von Armut in einem reichen Land und insbesondere von Kinderarmut ist nur möglich, wenn auch den Reichen in die Tasche gegriffen wird. Unfassbarer Reichtum auf der einen Seite – Arm trotz Arbeit auf der anderen – das ergibt eine soziale Spaltung und gefährdet auf Dauer die Demokratie.
Ich erinnere dazu an ein aktuelles Weihnachts-Zitat von Papst Franziskus, – und zwar aus dem Magnificat, dem Lobgesang Marias aus dem Lukas-Evangelium, als sie vom Erzengel Gabriel erfahren hatte, dass sie Gottes Sohn gebären wird:
Zitat „Gott erbarmt sich über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind; er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen“.  
Dietrich Bonhoeffer hat über das Magnificat von Claudio Monteverdi, Venedig anno 1610, gesagt: „Dieses Lied der Maria ist das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Lied, das je gesungen wurde.“ 
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
unsere Haushaltsanträge liegen vor. Sie sind finanzierbar. Wenn wir den Haushalt mit unterstützen sollen, erwarten wir Zugeständnisse in Richtung soziale Gerechtigkeit, wenigstens in einigen Bereichen.
So bei den Erzieherinnen in den Kitas, wo wir 3 Vollkräfte mehr wollen bei den Springerinnen, bei der praxisintegrierten Ausbildung mindestens weitere 5 PIA Azubis bei der Stadt und 5 bei den freien Trägern.
Entlastung und Personalbindung muss oberstes Ziel sein. In Stuttgart gibt es inzwischen Boni für Erzieherinnen, in Tübingen wurden die Verfügungszeiten seit 2009 eingedampft. Mehr Personal braucht es dringend auch bei der Integration und Anschlussunterbringung und bei der Schulsozialarbeit, auch für die kleinen Grundschulen. Auch die Schulbudgets müssen entsprechend der Landeszuschüsse deutlich erhöht werden, sie dürfen nicht weiter als Sparkässle dienen.  
Für die Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt fordern wir einmalige Hilfen die nicht über die Regelförderung abgedeckt sind. Und wir unterstützen selbstverständlich eine halbe Stelle mehr für das Tübinger Asylzentrum für die vielen notwendigen Aufgaben. Als barrierefreie Maßnahme möchten wir endlich dass ein Shuttle Bus zum Schloß hoch eingerichtet wird!
Eine Erhöhung der Kitagebühren um 2 % tragen wir keinesfalls mit. Es kann doch nicht sein, dass SPD und neuerdings auch die CDU in ihren Wahlprogrammen gemeinsam mit uns Linken ein gebührenfreies Kitajahr fordern und das gleichzeitig dann hier im Gemeinderat ablehnen und damit nicht genug, dann noch eins draufsetzen und für eine Erhöhung der Kitagebühren die Hand heben. Diese Doppelzüngigkeit lassen wir nicht durchgehen. Wir werden Sie im Bundestagswahlkampf daran erinnern. Die Grünen lehnen gebührenfreie Kitas programmatisch ab. Die SPD hat schon im vorletzten Landtagswahlkampf eine gebührenfreie Kita versprochen und sich das Anliegen dann von Kretschmann abschwätzen lassen. Dasselbe familienfeindliche Spiel treibt Kretschmann jetzt auch mit der CDU im Landtag. Wir sagen: Vorschulerziehung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Aufgabe muss landesweit gelöst werden, kann aber auch kommunal gestemmt werden, wenn man es ernsthaft will.
Dasselbe gilt für die Schülertickets. Man kann nicht hochtrabende Workshops zum ticketfreien Nahverkehr veranstalten und gleichzeitig jedes Jahr die Schülertickets verteuern. Bei solchen Übungen braucht man sich nicht zu wundern, wenn sich immer mehr Menschen auch von der Kommunalpolitik abwenden.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
Wir wollen die pauschalen Kürzungen kippen. Diese Maßnahme ist falsch und belastet die Beschäftigten bei der Stadt unnötig.
Die pauschale Kostensenkungsmaßnahme (1 % in allen Bereichen von 2017 bis 2021) kostet die Stadt unnötig Geld.  Allein zur Umsetzung dieser unsinnigen Zwangskürzungen werden jetzt für 50 000 € Beraterfirmen engagiert. Wir wollen im Haushalt nicht neue Beraterfirmen sondern mehr Beschäftigung. Die gute „work-life-Balance“, mit der sich der Oberbürgermeister gerne rühmt, gibt es immer weniger bei den „normalen Beschäftigten“. Sie wird durch eine Kultur der Maulkörbe ersetzt.
Und wir wenden uns entschieden gegen die Übertragung des Kürzungsprogramms auf die Zuschussanträge der Vereine und Initiativen, wie das über die sogenannten Zielvereinbarungs-Gespräche durchgestellt wurde. Vereine dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie das bei den  Kunststoffrasenplätzen passiert.
Noch ein Wort zum Thema Leerstand: Es ist doch ein Megaskandal, dass das Land für 12 Millionen eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Tübingen baut, dann einrahmt mit einem Hoch-Sicherheitszaun – und dann über Monate leer stehen lässt. Wie kann es sein, dass so ein Gebäude nicht mehrzweckartig nutzbar ist – zum Beispiel auch für Anschlussunterbringung oder Studierende, wenn es für die Erstaufnahme nicht mehr gebraucht wird. An den normalsten Dingen des täglichen Bedarfs wurde dort gespart – wie ausreichend sanitäre Anlagen und Steckdosen. Die Leute aus der grün-schwarzen Ministerialbürokratie, die so einen Mist planen und anweisen, gehören vom Platz gestellt. Wenn die Erstaufnahmestelle weiter nicht gebraucht wird, muss das Gebäude vom Land für Wohnraumnutzung umgebaut und zur Verfügung gestellt werden. Das würde beitragen, den angespannten Wohnungsmarkt zu entlasten. Es kann doch nicht sein, dass man Leerstand bei den einen ahndet und beim Land einen Leer-„Stand-By“ auf Dauer duldet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
letzte Bemerkung: Uns wird immer vorgeworfen, wir würden keine Vorschläge zur Finanzierung machen. Das ist nicht richtig. Uns fällt genügend ein. Die 1,2 Millionen Rückstellung für Steuernachzahlungen bei der WIT ist ein Unding. Wäre das nicht vermeidbar gewesen, wenn die WIT ein Eigenbetrieb wäre? Da hat die neue Finanzverwaltung der Stadt versagt. Allein die unnütze Förderung bei der WIT und die Mietsubventionen beim Technologiepark kosten die Stadt eine Unmenge Geld. Damit wären unsere bescheidenen Haushaltsanträge leicht gegen zu finanzieren. Und die automatischen Parkhäuser sind ebenfalls ein Millionengrab. Niemand wird zur Verantwortung gezogen, dafür werden hohe Boni an die Stadtwerke-Direktoren bezahlt. Nur zur Erinnerung: Als wir Linke zur Amtszeit von Frau Russ-Scherer gewarnt haben vor dieser Fehlinvestition wurden wir ausgelacht.
Wir hoffen, dass die Haushaltsberatungen zu einem fairen und sozial ausgewogenen Kompromiss führen. Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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