„Lieber eine rote Null als eine schwarze“

Kreistag, 10. Dezember 2014

Bernhard StrasdeitDie Linke-Fraktion stimmte nach Beratung der Einzelanträge dem Haushalt 2015 im Kreistag Tübingen zu. Die Vorgabe von CDU und FWV, die Kreisumlage auf 31,50 Punkte vorab festzulegen, wurde in der Beratung nicht realisiert. Die Umlage wurde am Ende der Beratung schließlich auf 31,58 festgelegt. Bei den „freiwilligen Leistungen“ gab es einige Verbesserungen. Im Bereich Flüchtlingssozialarbeit wurden auf Antrag von Linken und Grünen weitere Stellen realisiert.

„Lieber eine rote Null als eine schwarze“
Haushaltsrede von Bernhard Strasdeit, Linke Fraktion

Sehr geehrter Herr Landrat – liebe Kolleginnen und Kollegen,

Vorbemerkung:
Wir bedauern, dass die Mehrheit im Kreistag heute die Chance vertan hat, bei den Preisen der Schülerfahrkarten eine sozialere Regelung zu beschließen. Das ist ein falsches Signal für die Haushaltsberatungen nachher. Ich bin mir sicher, wir werden das Thema bald wieder auf dem Tisch haben.

Zur Haushaltsberatung:
„Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland hemmt das wirtschaftliche Wachstum“
… das sagt uns ganz aktuell gestern ein Bericht der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Eine gerechtere Sozialpoltik hätte nach Berechnungen der OECD bis zu sechs Prozentpunkte mehr Wachstum in Deutschland möglich gemacht.

Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung verdienten Mitte der achtziger Jahre fünfmal so viel wie die ärmsten zehn Prozent; heute liege das Verhältnis bei 7:1, so heißt es in dem gestern veröffentlichten Arbeitspapier der Industriestaatenorganisation. Die privaten Vermögen sind explodiert, die Reallohneinkommen haben stagniert. Niedriglöhne, Leiharbeit, Werkverträge und Befristungen sorgen dafür, dass immer mehr Menschen trotz Arbeit an der Armutsgrenze leben und zusätzlich auf Sozialleistungen angewiesen sind. Deshalb steigen auch die Sozialkosten in unserem Haushalt – trotz guter Konjunktur und trotz anhaltendem Exportboom. Die OECD fordert die Politik zum Gegensteuern auf.

Zitat des Generalsekretärs Gurria :
„Unsere Analyse zeigt, dass wir nur auf starkes und dauerhaftes Wachstum zählen können, wenn wir der hohen und weiter steigenden Ungleichheit etwas entgegensetzen. Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zentrum der politischen Debatte rücken.“

Wenn wir über die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Kommunalen Haushalte und für unseren Kreishaushalt reden, sollten wir nicht außer Acht lassen, was die OECD uns ins Stammbuch schreibt: letztes Zitat: „Wachsen und Gedeihen werden vor allem jene Länder, die alles daran setzen, dass ihre Bürger von klein auf gleiche Chancen haben“, heißt es in dem Bericht.

Der vorliegende Kreishaushalt ist geprägt von wichtigen Gemeinschaftsaufgaben, also von Investitionen in Jugendhilfe, Schule, Bildung und Kultur, in Inklusion, in soziale Infrastruktur und Verkehr und er leistet einen wichtigen Beitrag, um Menschen, die in unseren Landkreis zuwandern, zu integrieren. Mit zwei Aufgaben war der Kreistag in den letzen Monaten besonders herausgefordert: das war und bleibt die Regionalstadtbahn und zum zweiten, das ist die Unterbringung von Flüchtlingen.

Bei beiden Themen geht es um Zukunftsinvestitionen und bei beiden Themen haben wir erlebt, dass der Landkreis an seine Grenzen stößt, weil Bund und Land ihren Verpflichtungen nicht ausreichend nachkommen.

Beim Modul 1 der Regionalstadtbahn geht der Landkreis in planerische Vorleistung, ohne, dass die notwendigen Bundesmittel für den Ausbau bestehender Strecken und die Elektrifizierung wirklich abgesichert sind. Solche Risiken von einem Landkreis abzufordern, ist eigentlich ein Unding. Wir alle hier wollen diese Investition, aber das Land und der Bund verweigern die Risikoabsicherung.

Bei Flüchtlingsunterbringung sieht es ähnlich aus. Das Land hat das Problem auf fahrlässige Art und Weise über ein Jahr lang ausgesessen. Ich erinnre an die Haushaltsberatung hier vor genau einem Jahr, als wir alle zusammen die Landesregierung aufgefordert haben, endlich ihren gesetzlichen Verpflichtungen bei der Finanzierung von Unterbringung und Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge nachzukommen. Die Verwaltung hat nun deutlich gemacht: Es hat sich jetzt etwas verbessert, aber noch immer reichen die Pauschalen des Landes bei weitem nicht, um den Aufgaben gerecht zu werden. Das hat zur Folge: unsere eigentliche kommunale Aufgabe, die Menschen schnellstmöglich zu integrieren, die Kinder in Kitas und Schulen zu bringen, Ausbildung und Integration in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, für eine Atmosphäre des gesellschaftlichen Respekts gegenüber Flüchtlingen zu sorgen, ehrenamtliches Engagement für Flüchtlinge zu fördern – die Erfüllung dieser kommunalen Aufgaben werden behindert durch die Landesregierung – statt gefördert.

Wir unterstützen die Position des Landkreistages die da heißt: „Pauschalen sind der falsche Weg der Finanzierung! Wohnkosten und Miethöhen sind von Kreis zu Kreis völlig unterschiedlich: Ballungsraum, Universitätsstädte und ländlicher Raum lassen sich einfach nicht mit einer Pauschale erfassen“.

Wir sagen weiter: wir wollen keine Fortsetzung des Ping-Pong-Spiels auf dem Rücken von Flüchtlingen. Das Land muss seine Pflichten erfüllen und die Landkreise und Kommunen die ihren. Im Kreishaushalt sind die neuen Aufgaben für Flüchtlinge berücksichtigt, auch im Stellenplan, aber aus unserer Sicht noch zu wenig. Bei der Sozialbetreuung von Asylbewerbern ist der angemessene Schlüssel 1:100 nur dann einzuhalten, wenn der Antrag der Grünen und von uns angenommen wird. Das bedeutet 1,25 Stellen mehr als von der Verwaltung vorgeschlagen. Sozialbetreuung ist der Schlüssel dafür, dass Flüchtlinge eben nicht nur mit dem Allernotwendigsten zum Überleben versorgt werden, sondern auch was dafür zu tun, dass sich diese Menschen hier selbstbestimmt zurechtfinden und sich voll am gesellschaftlichen Leben beteiligen können. Angesichts der steigenden Zahl von Flüchtlingen darf der Betreuungsschlüssel nicht unterschritten werden. Das wäre die falsche Botschaft auch an all diejenigen, die sich ehrenamtlich in diesem Bereich engagieren, in Kirchengemeinden, in Vereinen, in Schulen und in der Nachbarschaft. Für uns hat dieser Antrag eine besondere Bedeutung, auch für unsere Entscheidung nachher, ob wir letztlich dem Gesamthaushalt zustimmen können oder nicht. Weiter sind für uns vorrangige Anträge die Projekte von TIMA (Lebenshunger), Pfundskerle und das Caritas-Übersetzerangebot.

An einem Punkt stimmen wir beim Flüchtlingsthema weder mit dem Landkreistag noch mit der Landesregierung überein. Das sind die Abschiebungen von Roma, die derzeit vom Baden-Airport nach Serbien stattfinden. Da werden Familien mit Kindern im Winter in eine ungewisse Zukunft abgeschoben. Das Mindeste ist ein Winterabschiebestopp wie in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen. Der Flüchtlingsrat fordert diesen Winterabschiebestopp auch in Baden-Württemberg und wir bitten Sie darum, diese Forderung zu unterstützen.

Ich komme zum Thema Kreisumlage.
Freie Wähler und CDU wollen den Kreisumlagesatz auf 31,5 festfrieren. Das bedeutet: Jeder Cent darüber soll dann dazu führen, dass die Verwaltung zu einer sogenannten globalen Minderausgabe gezwungen wird, – sprich zu allgemeinen Ausgabekürzungen. Wir sind dagegen, diese Zahl in Beton zu gießen. Was ist so dramatisch schlimm daran, wenn wir bei der Kreisumlage nicht bei 31,5 landen sondern irgendwo bei 32,2 oder 32,3 Punkten, also ziemlich genau da, wo wir letztes Jahr auch waren. Und da hatten wir ja gegenüber dem Vorjahr schon abgesenkt um 1,5 Punkte. Über was reden wir eigentlich? Wir haben ein Haushaltsvolumen von 216 Millionen. Wir streiten uns heute gerade mal um eine Größenordnung von höchstens 1,5 Millionen. Es gibt in absoluten Zahlen mehr Einnahmen. Wenn die Steuerkraftsumme steigt, und wenn die Bevölkerung wächst, frage ich mich: warum dürfen nicht auch die Ausgaben im selben Maße steigen? – wie gesagt bei Beibehaltung des derzeitigen Umlagesatzes.

Für uns ist bleibt die Höhe der Kreisumlage das Ergebnis einer demokratischen Konsensfindung hier im Kreistag. Ein Vorabdiktat haben wir in der Vorberatung abgelehnt und lehnen wir weiter ab. Die Kreisumlage ist dazu da, im Landkreis wichtige Gemeinschaftsaufgaben anzupacken, die allen Kreisbewohnern und allen Gemeinden gleichermaßen nützen. Wir Linke halten an diesem solidarischen Grundsatz fest. Freie Wähler und CDU haben sich den falschen Adressaten ausgesucht. Die Kommunen werden doch nicht durch die Kreisumlage geschwächt, sondern durch falsche Vorgaben der Bundes- und Landesregierung. Zum Beispiel, dadurch, dass die Kommunen in Baden-Württemberg seit 2013 verstärkt zur Gemeindeverkehrsfinanzierung herangezogen werden. Zum Beispiel, dass das Land vergangenes Jahr den Anteil der Kommunen an Steuereinnahmen gekürzt hat. Schauen Sie in den Gemeindefinanzbericht – dort ist die Rede von einem „hohen Investitionsrückstau“ in Baden-Württemberg, bei Straßen von 6 Milliarden, bei Schulen von 5 Milliarden, bei Verwaltungsgebäuden, Sportstätten und Bädern von je zwei Milliarden. Da sind wir wieder bei der OECD, die den Investitionsstau hierzulande massiv kritisiert. Wir investieren in Deutschland zu wenig und nicht zu viel. „Der Bröckelstaat“ – titelte im September der SPIEGEL. Untertitel: „Wir verspielen Zukunft und Wohlstand.“

Mit der Debatte um die Kreisumlage lenken Sie ab von den tatsächlichen Problemen. Der Kreishaushalt kommt ohne Neuverschuldung aus, das ist selbstverständlich gut. Aber CDU und FWV reicht die schwarze Null im Kreishaushalt nicht. Sie Herr Neher und Herr Hofelich wollen aus der schwarzen Null eine pechschwarze Null machen. Wir Linke halten nichts vom Diktat der schwarzen Null und erstrecht nicht von ihrer Planübererfüllung, weil das die Bewältigung gemeinschaftlicher Aufgaben behindert. Unsere Schuldenbremse heißt Millionärssteuer. Damit das Land nicht zerbröckelt, braucht es eine höhere Besteuerung der Spitzeneinkommen und großen Vermögen, die den Ländern und Kommunen zugutekommt, – damit deren Finanzausstattung verbessert werden kann.

Wir sind für eine rote Null, was bedeutet: eine solidarische Finanzierung von wichtigen Gemeinschaftsaufgaben und mehr Geld für die Kommunen. Und noch ein Argument an die Bürgermeisterin und Bürgermeister hier im Raum: Tausende Einwohner im Landkreis und pendeln zum Arbeiten zur Ausbildung oder zum Studieren nach Tübingen. Die Stadt Tübingen profitiert davon und generiert darüber zusätzlich Steuereinnahmen. Warum soll sich nicht auch die Stadt Tübingen über die Kreisumlage angemessen beteiligt sein den Folgekosten, die dadurch dem Landkreis entstehen.

Herr Landrat, meine Damen und Herren ,
Wir hatten dieses Jahr turbulentere Vorberatungen als sonst. Ich hoffe, wir kommen trotzdem zu einem Ergebnis, das für alle tragbar ist. In diesem Sinne wünsche ich uns eine erfolgreiche Verhandlung.
Danke.

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