Die Kreisecke (im Schwäbischen Tagblatt)
Nach unten zu treten, ist im politischen Machtspiel leider immer noch eine erfolgreiche Methode. Nachdem die CDU-CSU mit einer massiven Entsolidarisierungskampagne gegen geflüchtete Menschen die Wahl gewonnen hat, kommen jetzt die Menschen dran, die auf die Leistungen des Sozialsystems angewiesen sind: Bürgergeldbedürftige, Rentner*innen, Kranke …
Vor Kurzem erklärte Bundeskanzler Merz den Sozialstaat für „nicht mehr finanzierbar“ und kündigte einen „Herbst der Reformen“ an. Im Mittelpunkt steht das Bürgergeld, deren Empfänger*innen von Linnemann & Co. das Etikett der faulen Verweigerer übergestülpt wird. Mit derartiger Problemanalyse wird aus Angst vor einem weiteren Erstarken der AfD nach unten getreten und weiter nach rechts gerückt. Dies dürfte aber wieder nur bei den ganz Rechten einzahlen, denn diese können sich in ihrer Weltsicht bestätigt fühlen.
Wohin soll solche Politik führen? Wie viel Sozialabbau will die SPD in der Koalition mittragen? Fakt ist: Durch Steuerhinterziehung (überwiegend durch Leute, die mehr als genug haben) verliert der Staat über 200 Milliarden Euro Steuern im Jahr. Der Leistungsmissbrauch beim Bürgergeld ist demgegenüber eine geringe Größe. Die von der Koalition beschlossene Senkung der Unternehmenssteuern wird rund 25 Milliarden Euro jährlich kosten. 70 Prozent davon fließen an das reichste Prozent der Bevölkerung. Bei den Sozialkosten gab es in den letzten Jahren keine überdurchschnittliche Kostensteigerung. Deutschland liegt EU-weit im Mittelfeld. Der Sozialstaat könnte besser finanziert werden, wenn „nach oben“ weniger gebuckelt wird und die oberen Einkommensschichten stärker für den sozialen Ausgleich herangezogen werden. Stichworte: Steuerreform mit einer stärkeren Beteiligung hoher Vermögen und Kapitalanlagen, Erbschaftssteuer, Bürgerversicherung im Gesundheitsbereich. Die Linke und Sozialverbände fordern solche Maßnahmen seit Langem. Mit derartigen Umschichtungen könnten dann auch die Kommunen auskömmlicher finanziert werden und weiterhin auch „Freiwilligkeitsleistungen“ möglich sein.
Schließlich: Statt irrsinnige Summen für Kriegsgerät bereitzustellen, wäre es sinnvoll, mit möglichst viel natürlicher Intelligenz zum möglichst baldigen Ende der aktuellen Kriege in der Ukraine, in Israel/Gaza und anderswo beizutragen. Dies als Randbemerkung zum gestrigen Antikriegstag.
Andreas Linder, Kreisrat für die Tübinger Linke