Sara da Piedade Gomes, Stadträtin
Sara da Piedade Gomes, Stadträtin

Ehrenbürger sind, Zitat: „Personen, die sich besonders um das Gemeinwohl verdient gemacht haben.“

Der Gemeinderat hat bereits im Jahr 2023 Mittel in Höhe von 30.000 Euro im Haushalt bereitgestellt, um die sogenannte „Ehrenwürdigkeit“ der Ehrenbürger*innen der Stadt Tübingen wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Dies sollte durch eine qualifizierte Kommission geschehen – so, wie wir es bereits bei der Aufarbeitung nach Nazis benannter Straßennamen beantragt und umgesetzt haben. Auch die Linke hat – zuletzt 2012 – wiederholt Anträge zur Aberkennung von Nazi-Ehrenbürgern gestellt und eine umfassende Untersuchung sowie klare Regeln für die Zukunft gefordert.

Bisher wurde diese Forschung trotz Beschluss des Gemeinderats nicht durchgeführt. Deshalb sahen wir uns gezwungen, diesen Antrag zu stellen. Die Verwaltung hat es offenbar nicht geschafft, eine solche Kommission zusammenzustellen oder ein entsprechendes Gutachten in Auftrag zu geben. Zunächst hieß es, es fänden sich keine Wissenschaftlerinnen, dann sei es zu teuer. Dabei gibt es genug Expertinnen, die sich mit der Geschichte des deutschen Faschismus befassen. Gerade angesichts der historischen Kontinuitäten, der aktuellen Faschisierung des Diskurses und der Politik in diesem Land ist eine Aufarbeitung der NS-Zeit dringlicher denn je.

Also habe ich die Recherche selbst übernommen – so viel zum Märchen, niemand wolle sich damit beschäftigen. Ich habe vier Namen gefunden:

Paul Schmitthenner: Bereits 1931 begann er mit dem „Kampfbund für deutsche Kultur“ (KfdK), einer NSDAP-Organisation, zu kooperieren. 1932 unterzeichnete er das Manifest „Deutsche Geisteswelt für den Nationalsozialismus“, 1933 trat er der NSDAP bei. Schon im Gutachten zu den Straßennamen wurde festgehalten: „Unterstützung des NS-Regimes und Antisemitismus.“

Gebhard Müller: Mitglied im „Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ (BNSDJ), in der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“ (NSV) und förderndes Mitglied der SS. Ein Befürworter der Todesstrafe, verantwortlich für die letzte Hinrichtung in der BRD. Und ausgerechnet so jemand wurde Präsident des Bundesverfassungsgerichts…

Kurt Georg Kiesinger: 1933 NSDAP-Eintritt, Mitglied im Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps. In seinen Memoiren behauptete er, er sei in die NSDAP eingetreten, um „Exzesse zu verhüten“ und „der antisemitischen Rassenpropaganda entgegenzuwirken“ – eine Lüge, wie sein Biograf Gassert feststellte. Beate Klarsfeld deckte seine enge Zusammenarbeit mit Goebbels und Ribbentrop auf. Er war maßgeblich für antisemitische Kriegspropaganda in deutschen Auslandssendungen verantwortlich und kooperierte mit SS-Funktionären, die für Massenmorde in Osteuropa verantwortlich waren. Während seiner Kanzlerschaft wurden die Notstandsgesetze eingeführt, und NS-Kriegsverbrechen wurden der Verjährung preisgegeben.

Theodor Eschenburg: 1933 Eintritt in die SS. Er behauptete später, er sei nur drei Monate Mitglied gewesen, doch seine SS-Stammrolle zeigt anderes. Er war an der „Entjudung“ von Unternehmen beteiligt: 1938 wirkte er aktiv an der „Arisierung“ jüdischer Firmen mit. Der jüdische Unternehmer Max Blaskopf, dessen Firma Eschenburg „entjudet“ hat, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Nach dem Krieg setzte Eschenburg sich für den Radikalenerlass ein, der Kommunist*innen und Linke aus dem öffentlichen Dienst ausschloss – ein Unrecht, das später vom Europäischen Gerichtshof bestätigt wurde. Sein nach ihm benannter Preis für Politikwissenschaft wurde wegen seiner NS-Verstrickung abgeschafft.

Diese Liste ist sicherlich unvollständig. Ich hatte nur Zugriff auf bereits belegtes und veröffentlichtes Material. Es ist davon auszugehen, dass sich unter den Ehrenbürgerinnen Tübingens weitere Rassistinnen und Nationalsozialist*innen befinden.

Eines ist klar: Wer weiterhin Menschen aktiv ehrt, die andere systematisch ausgegrenzt, beraubt, sterilisiert, gefoltert und ermordet haben, macht sich mitschuldig. Doch auch nichts zu tun – sie einfach Ehrenbürger bleiben zu lassen – ist ein geschichtspolitisches Statement. Damit werden ihre Taten verharmlost und ihnen nachträglich zumindest eine gewisse Ehrenwürdigkeit zugesprochen (Personen, die sich besonders um das Gemeinwohl verdient gemacht haben.) – eine Ehrenwürdigkeit, die sie eindeutig nicht verdienen.

Die Stadt behauptet, die Ehrenbürgerschaft erlösche mit dem Tod – aber warum stehen diese Namen dann weiterhin als „ehrenvoll“ auf der Website?

Tübingen muss ein Zeichen setzen: Die Stadt darf keine Nazi-Verbrecherinnen, Nazi-Opportunistinnen oder Nazi-Mitläufer*innen ehren! Stattdessen müssen jene gewürdigt werden, die Widerstand geleistet haben. Gerade jetzt, wo Stuttgart am Samstag einer der größten rechten Aufmärsche der letzten Jahre droht, wo die AfD zweitstärkste Kraft im Land ist, wo rechtsextreme Straftaten neue Höchststände erreichen – gerade jetzt ist es notwendig, dass wir alle gemeinsam dem Rechtsruck eine entschlossene Absage erteilen.

Dieser Antrag mag nur ein kleiner Teil davon sein, aber er ist ein Teil der antifaschistischen Arbeit. Denn die Geschichte reimt sich. Und wir wissen, wohin das führt, wenn wir nicht handeln.