Amazon erhält privilegierten Zugriff auf Tübinger KI-Forschung

Stellungnahme der Linken-Fraktion im Tübinger Gemeinderat

Der Aufbau des Cyber Valley, dessen Förderung mit dreistelligen Millionenbeträgen und der Verkauf öffentlicher Flächen für den Bau eines Amazon-Entwicklungszentrums wurden wieder und wieder damit begründet, dass es „zwischen dem marktgetriebenen US-Modell und dem autoritären Modell Chinas … eine europäische Antwort“ brauche (https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Gruendung-des-Tuebinger-Cyber-Valley-vor-5-Jahren-Das-ist-Weltklasse-528398.html). Kritiker*innen befürchteten demgegenüber eine Kommerzialisierung und Ökonomisierung der Wissenschaft. Die schnelle Kommerzialisierung neuer Forschungsergebnisse, also die Umsetzung in profitable Produkte, war von Anfang an und öffentlich erklärtes Ziel des „Ökosystems“ Cyber Valley.

Kurz bevor der Neubau des Amazon-Entwicklungszentrums in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Max-Planck-Instituten für „intelligente Systeme“ und „biologische Kybernetik“ bezogen wird, veröffentlichte nun die Max-Planck-Gesellschaft eine Pressemitteilung zur weiteren Ausgestaltung der Kooperation zwischen den öffentlich finanzierten Forschungsinstituten und dem drittgrößten Unternehmen weltweit. Hierzu wurde ein Rahmenvertrag geschlossen, der „Forschungskooperationen vereinfachen und administrative Hürden reduzieren“ soll und auch „Fragen des geistigen Eigentums“ vertraglich regelt (https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Einblick-in-anwendungsbezogene-Forschung-547830.html).

Amazon bringe demnach im ersten Jahr 700.000 Euro ein, u.a. um die „Finanzierung und Umsetzung von Forschungsprojekten sowie die Aus- und Weiterbildung von talentierten Doktorand:innen“ zu unterstützen. U.a. werde damit die Möglichkeit geschaffen, dass Forscher*innen der Max-Planck-Institute „in Form einer Nebentätigkeit bei Amazon“ arbeiten und damit „Einblicke in anwendungsbezogene Forschungsfragen“ erhalten können (https://is.mpg.de/de/news/amazon-and-max-planck-society-establish-science-hub).

Damit kann Amazon auch die Fragestellungen und Lösungsansätze der öffentlich finanzierten Forschung und Ausbildung prägen und erhält privilegierten Zugang zu den dort erarbeiteten Ergebnissen. Gegenüber den mehr als 300 Mio. Euro, die alleine die Landesregierung bisher für den Ausbau des Cyber-Valley bereitgestellt hat, kommt das Weltunternehmen dabei mit 700.000 Euro recht günstig davon.

Ein Anwendungsgebiet, auf dem sich Amazon konkret in Tübingen Antworten aus der Wissenschaft erhofft, wird in der Pressemitteilung gleich benannt, nämlich auf die Frage, „wie maschinelles Sehen genutzt werden kann, um das Einkaufserlebnis der Kunden von Amazon Fashion zu verbessern“. Doch Amazon ist gerade mit seinen KI-Anwendungen auch Dienstleister von Militär- und Geheimdiensten der USA und von Polizeibehörden weltweit. In Tübingen entwickelte Fortschritte u.a. bei der Gesichtserkennung und dem maschinellen Sehen können so auch rasch und nahezu unkontrolliert von Amazon in profitable, aber wenig ökologische oder gar militärische Anwendungen übersetzt werden. Der viel gepriesene „Ethik-Beirat“ des Cyber Valleys ist natürlich auch für diese Form des Wissenstransfers nicht zuständig.

Statt einer „Alternative“ zum „marktgetriebenen US-Modell“ zeigt sich erneut, dass es sich beim Cyber Valley nur um eine billige Kopie davon handelt, nämlich mit öffentlichen Investitionen private Profite zu schaffen. Der Standortnationalismus, die vermeintliche Konkurrenz u.a. zu den USA und die vielgepriesenen europäischen Werte entlarven sich durch die privilegierte Zusammenarbeit mit Amazon erneut als reine Nebelkerzen, um Zustimmung zu einer zutiefst neoliberalen Forschungspolitik zu generieren, von der zunächst diejenigen profitieren, die ohnehin schon den meisten Reichtum angehäuft haben – im Falle Amazons ganz eindeutig auch auf Kosten der Umwelt, der Arbeitsrechte und des Datenschutzes.

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