Mittwochspalte 26.10.2016 im Schwäbischen Tagblatt

Gerlinde Strasdeit, Stadträtin der Linken
Gerlinde Strasdeit, Stadträtin der Linken

Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erneut klargestellt. Die Stadtverwaltung verspricht, dass bis Jahresende die Ein-bis Dreijährigen ausreichend versorgt sind. Gut, wenn das in unserer Stadt erreicht wird; aber schlecht, dass dies mit Überbelegungen auf dem Rücken der Beschäftigten passieren soll. Boni gibt es in Tübingen für Stadtwerkedirektoren aber leider nicht für Erzieherinnen.

Ständig kommt es in Kitas zu Personalengpässen im „Tagesgeschäft“, zum Beispiel wenn „neue“ Kinder aufgenommen werden; es fehlt die Vertretung, wenn eine Kollegin plötzlich ausfällt. Erstmals können nicht alle Stellen besetzt werden. Eine Erzieherin sagt mir: „wir empfangen morgens die Kinder mit offenen Armen, egal ob sie rotznäsig, ausgeschlafen oder müde sind. Wir sind Spielanleiterinnen, Gesprächspartnerinnen, trösten, wechseln die Windel und versorgen nebenbei das fiebrige Kind, das leider nicht gleich abgeholt werden kann. Wir sollen die Eltern kompetent unterstützen, alles dokumentieren, uns weiterbilden und uns im Team austauschen. Es besteht ein hoher Bildungsanspruch an die Kitas. Aber wir haben eine ständige Überlastung und die Personaldecke ist auf Kante genäht“. Deshalb fordern wir Linken die Rücknahme der Kürzung bei den Verfügungszeiten aus dem Sparjahr 2009. Statt Stechuhren für die Erzieherinnen einzuführen (war wohl ein Tipp der Beraterfirma „Prima Klima“ ??), könnte sich die Verwaltung Gedanken machen, wie man Fachkräfte gewinnt. Andere Städte wie München zahlen 200 Euro mehr und unterstützen bei der Wohnungssuche. In Tübingen werden Azubis auf den Stellenschlüssel angerechnet, das gibt Abzug bei den Fachkräften. Stellvertretende Leitungen sollen teilweise abgruppiert werden, entgegen Tarifvertrag. Um die 5.000 fehlenden Erzieherinnenstellen im Land aufzubauen, braucht es bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Jüngere Kolleginnen gehen mit viel Idealismus in den Beruf und genervt wieder raus aus dem Job, weil sie den Stress nicht bis zur Rente aushalten. Workshops zur Durchsetzung höherer Kitagebühren sind die falsche Lösung. Der zuständige Sozialminister Lucha (Grüne) sollte sich besser für gebührenfreie Kitas und die Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe einsetzen statt Werbefeldzüge zu starten für die Steuerfreiheit von Millionären und eine Schwarz-Grüne-Koalition im Bund.

Gerlinde Strasdeit (Stadträtin der Tübinger Linken)