Bürgerbeteiligung nur von oben ?

Gerlinde Strasdeit, Fraktionsvorsitzende

Bürgeranträge und Bürgerentscheide sind wichtige Instrumente kommunaler Demokratie. Aber die Bundestagswahl am 24. September ist nicht der geeignete Termin, um über Bebauungspläne und die Auswahl von Gewerbeflächen zu entscheiden und schon gar nicht, wenn über das Thema im Gemeinderat vorher nicht beraten wurde. Oberbürgermeister Palmer missbraucht das Mittel der Bürgerbeteiligung um schneller am Gemeinderat vorbei zu regieren.

Eine Zufallsbefragung in Sachen Au-Brunnen oder Schelmen als gewerbliche Baufläche hätte keine rechtliche Bindung und der Gemeinderat müsste hinterher doch entscheiden. Warum stellen wir nicht Dinge zur Abstimmung, die reif und in der Bevölkerung lange diskutiert sind, wie zum Beispiel eine wirksame Sozialquote im Wohnungsbau? Im Mannheimer Gemeinderat wurde das letzte Woche mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken für Bauprojekte mit mehr als 10 Wohneinheiten verbindlich beschlossen. In Tübingen scheiterten unsere Vorstöße bislang immer. Ich bin sicher, bei einem Bürgerentscheid würden unsere Non-Profit-Vorschläge für Faires Wohnen mit Mehrheit durchgehen. Die städtische Wohnungsgesellschaft (GWG) baut zwar mehr als früher, aber immer noch nicht genug, um den Bedarf an bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zu decken. Es fehlen öffentliche Investitionsmittel für gemeinnützige und genossenschaftliche Projekte und es fehlt der Mut zu bewährten Maßnahmen wie die Vergabe von öffentlichem Boden in Erbpacht.
Auch der drohende Notstand in den Kitas wäre ein dringender Anlass für einen Bürgerentscheid. Erstmals sind auch in Tübingen Stellen unbesetzt; das beklagen Eltern und Beschäftigte. Viele Kolleginnen arbeiten am Anschlag. Der gesetzliche Anspruch auf einen Kitaplatz kann nicht voll umgesetzt werden. „Sind Sie dafür, dass ein städtisches Programm gegen den Fachkräftemangel in Kitas aufgelegt und der ErzieherInnenberuf aufgewertet wird?“ Würden Sie da mit JA stimmen? Ich sofort. Alle Möglichkeiten bei der Eingruppierung müssen ausgeschöpft und Bonizahlungen erwogen werden. In jeder Einrichtung braucht es hauswirtschaftliches Personal, das Entlastung schafft. Alle Sonntagsreden über mehr Genderpolitik sind Heuchelei, solange Pflegekräfte, Sozialbetreuende und ErzieherInnen in diesen typischen Frauenberufen an Überbelastung leiden und unterbezahlt sind.
Gerlinde Strasdeit, Stadträtin der Tübinger Linken

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