Für einen Haushalt der sozialen Verbesserungen

Haushaltsrede im Tübinger Gemeinderat der Fraktionsvorsitzenden der LINKEN: Gerlinde StrasdeitGerlinde Strasdeit

Liebe Ratskolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Erste Bürgermeisterin Frau Dr. Arbogast, sehr geehrter Herr Baubürgermeister Soehlke,

die Gemeinderatsfraktion der Linken solidarisiert ohne Wenn und Aber mit den Forderungen der Beschäftigten im Erziehungsbereich. Auch wir fordern Sie, Oberbürgermeister Palmer und alle Fraktionen des Gemeinderats auf, Einsparungen beim Personal zu unterlassen.

Unsere Bildungseinrichtungen dürfen nicht kaputtgespart werden, denn sie sind wichtig für Chancengleichheit und soziale Integration und für Inklusion, also für all das, was wir ja alle wollen.

Die Arbeitssituation für viele Beschäftigte ist in den sozialen und betreuenden Berufsfeldern schon überdurchschnittlich prekär. Erzieherinnen verdienen sich keine goldene Nase. Oft lastet großer Druck auf den meist weiblichen Beschäftigten, um der Verantwortung für die Betreuten gerecht zu werden. Wir wollen, dass die Stadt diese Berufe nicht abwertet sondern aufwertet.

Unsere Haushaltsanträge haben wir überschrieben mit dem Titel:

Für einen Haushalt der sozialen Verbesserungen.

Das Tagblatt hat in Samstagsausgabe daraus die total irreführende Überschrift gemacht:

Ein Großer Wunschkatalog.

Ich sage ausdrücklich Nein: was wir fordern ist kein Wunschkatalog: wenn wir aufgeschrieben hätten, was wir uns so alles wünschen, sähen die Anträge nochmal deutlich anders aus.

Wir haben in diese Anträge nicht reingeschrieben, was wir uns wünschen sondern wir haben das reingeschrieben, was wir für dringend erforderlich halten, damit Tübingen keine Musterstadt der sozialen Spaltung wird.

Wir wollen keine Stadt, in der man erst einigermaßen auskömmlich leben und sich eine Wohnung leisten kann, wenn man zu einer Einkommensklasse der Besserverdienenden zählt.

– Herr Palmer – Sie haben sich kürzlich bei Ihrer Antrittsrede in der neuen Aula zur zweiten Amtszeit zum Prinzip der sogenannten Verantwortungsethik bekannt, und haben damit begründet, warum Sie jetzt den grünen Rotstift walten lassen.

Wir halten nichts von einer Trennung in Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Mit beiden Begriffen kann man viel Blödsinn anrichten. Frage: Was hat es mit Verantwortung zu tun, Stellen im ErzieherInnenbereich zu kürzen?

Bei der Kitabetreuung fordern wir schlicht das, was der Gemeinderat nach einem langen Diskussionsprozess mit Eltern, Erzieherinnen bereits beschlossen hat:

für die Schließzeitenkürzung auf 25 Tage, dann muss der Sperrvermerk für die 6,29 Personalstellen weg, das beantragen wir. Nach unserer Berechnung müssten es eher mehr Stellen sein, weil Ausfallquote wegen Krankheit, Fortbildung und Urlaub höher bewertet werden müsste.

Und es braucht dringend die 13,4 Stellen auf Grundlage der gesetzlichen Vorgabe der Kindertagesstättenverordnung zur Personalbemessung; die stammt noch von der schwarz-gelben Landesregierung vom 25. November 2010! Die sollte schon seit 2012 voll umgesetzt sein. Die wurde im Gemeinderat im Juli 2013 in 3 Tranchen beschlossen. Und jetzt soll die dritte Tranche nicht umgesetzt werden! Das machen wir nicht mit! Dies muss jedem Gemeinderatsmitglied klar sein: wer dagegen stimmt – stimmt gegen eine gute Kinderbetreuung.

Wir brauchen das bessere Angebot und sollten festhalten an der Kürzung der Schließzeiten.

Ich verstehe nicht, warum die Verwaltung vor der OB – Wahl im letzten Jahr diesem Kompromiss zugestimmt hat, und diesen nach der OB-Wahl wieder aufkündigt. Das ist doch ein krummer Hund ! Die Einhaltung der Gemeinderatsbeschlüsse ist für uns ein besonderer Knackpunkt in der weiteren Beratung.

Und ich verstehe auch überhaupt nicht, warum das wirtschaftliche Wohl der Stadt vor der OB-Wahl überschwänglich in den schönsten Farben beschrieben wurde und nach der OB-Wahl die Stadt plötzlich so verarmt am Hungertuch nagt, dass die Schwarze Null auf dem Rücken von Beschäftigten durchgesetzt werden muss.

Auch die Forderung nach fünf Azubi-Stellen für Erzieherinnen für die städtischen Einrichtungen ist keine utopische Forderung.

Eine Stadt, die sich für alles Mögliche grüne Beraterfirmen engagiert, kann sich keine Azubistellen im Kitabereich leisten? Das ist doch nicht akzeptabel. Personalbildung und Personalbindung ist in diesem Bereich eine sehr wichtige Zukunftsinvestition. Andere Städte geben den Erzieherinnen zusätzlichen Urlaub, höhere Einstiegsgehälter, Zuschüsse zum ÖPNV und Ballungsraumzulagen wegen der hohen Mieten.

Ich sags drastisch: Investitionen in die Kinderbetreuung sparen der Gesellschaft das Vielfache an Kosten bei Kriminalitätsbekämpfung und Gefängnissen. Das sagen uns kriminologische Studien.

Dasselbe gilt für die Schulkindbetreuung: da wird jetzt alles über den Haufen geworfen, was für gute und qualitätsvolle pädagogische Arbeit erarbeitet und geplant war. Es braucht unbedingt jetzt – die 2 Springerstellen, um eine gute qualitätsvolle pädagogische Betreuung zu gewährleisten und keine Massenabfertigung der Kinder im Akkord!

Schulsozialarbeit:

Wir fordern eine Vollzeitstelle pro 700 Schüler*innen, mindestens jedoch 1 Vollzeitstelle pro Schule. Dies dient dazu, präventive und aufsuchende Arbeit zu ermöglichen.

Dringend benötigt werden die zwei Schulhausmeisterstellen, die mit Sperrvermerk erst ab 1.9. eingestellt werden sollen! Was soll diese künstliche Verzögerung? Fachleute- auch aus Tübingen – haben in einer Arbeitsgruppe des Baden-Württembergischen Städtetags eine neue Konzeption erarbeitet. Jetzt soll die Gesamtkonzeption von einer fachfremden Kraft mit grünem Parteibuch für den Planungsausschuss erstellt werden. Das ist ein Skandal. Diese Verzögerung und Vetterleswirtschaft akzeptieren wir nicht. Das sind auch rausgeschmissene Ressourcen, die Geld kosten.

Für die Erfüllung der Aufgaben im kommunalen Servicebetrieb (KST) haben wir drei Stellen beantragt. Seit dem Minus-10 Prozent Kürzungsprojekt 2009 wird die Arbeit verdichtet und oft fremdvergeben. Die Stadt braucht nicht nur Weißkittelarbeitsplätze sondern auch Beschäftigte mit „Blauem Anton“ und mit einem entsprechenden Tariflohn.

Trotz der 100 000 € teuren Sozialkonzeption brauchen die Sozialvereine eine Erhöhung um arbeitsfähig zu bleiben, das wurde auch im Bericht der Fa. Weeber und Partner festgestellt. Deshalb beantragen wir 10 000€ für das Sozialforum!

Schon bei der Studie 2009 von derselben Firma Weeber & Partner „Älter werden in Tübingen“ wurde eine 50% Stelle für die Koordination der Stadtteiltreffs vorgeschlagen. Die Nichtumsetzung ist für die vielen ehrenamtlichen Bürgerinnen nicht wertschätzend! Und wir wollen nicht, dass die teuren Studien in den Schubladen verschwinden.

Flüchtlinge

Hinzu kommen die neuen Aufgaben der Flüchtlingsarbeit, die sicherlich auch zum Teil in den Stadtteiltreffs von statten gehen werden. Seit 2009 sind 5 Stadtteil-Treffs entstanden, die dringend diese hauptamtliche Unterstützung brauchen.

Eine Personalstelle für Flüchtlinge und Integration wird dringend gebraucht:
Deshalb beantragen wir eine 50% Fachkraftstelle spätestens zum 1.6. zur Koordination der Flüchtlingsarbeit mit folgenden Aufgaben: Koordination der Ehrenamtlichen im Bereich der Flüchtlingsarbeit der Stadt Tübingen, Vernetzung mit den in der Arbeit tätigen Fachdiensten, Aus- und Weiterbildung von ehrenamtlichen HelferInnen in der Flüchtlingsarbeit. Der Flüchtlingsgipfel im Dezember 2014 hat gezeigt, dass ein hohes Potenzial von ehrenamtlichem Engagement besteht. Es ist jedoch wichtig, diese schwierige Arbeit professionell zu unterstützen. Dies ist mit der Stellensituation im Fachbereich Integration nicht zu bewältigen.

Schülerfahrkarten

Die Preissenkung für Schülerfahrkarten ist für uns ein weiterer Knackpunkt. Die Kindercard muss aufgestockt und die Schwellenarmut von Menschen mit niedrigem Einkommen muss einbezogen werden.

Reinigungskräfte

Wir möchten die Rekommunalisierung der restlichen 50 % der beschäftigten Reinigungskräfte Zug um Zug zurück in den Stadttarifvertrag. Raus aus den Niedriglöhnen in existenzsichernde Arbeit auch für Frauen. Die Stadt darf sich nicht weiter daran beteiligen, den Niedriglohnbereich auszuweiten.

Es ist eine Schande, dass Servicekräfte, die unsere Amtsstuben und Schulen reinigen trotz Mindestlohn aufstocken müssen, während dem reichsten Prozent der Haushalte ein Drittel des gesamten gesellschaftlichen Vermögens gehört. Sowohl bei der Reichtumskonzentration wie bei der Ausweitung des Niedriglohnbereichs ist Deutschland Spitze und wird deshalb international kritisiert, so von der Organisation der Industriestaaten OECD.

NS-Dokumentationszentrum

Und wir unterstützen die Einrichtung eines Lern- und Dokumentationszentrums zum Nationalsozialismus möglichst im Archiv in der Güterbahnhofshalle ohne den geplanten Teilabriss aus wirtschaftlichen Gründen.

Ich komme zu den Einsparmöglichkeiten:

Mir fällt auf: Bei sozialen und kulturellen Einrichtungen wird immer nach Doppelstrukturen gesucht, das war die Begründung für die Sozialkonzeption-Untersuchung. Wirkliche unnötige Doppelstrukturen gibt es bei der Wirtschaftsförderung.

Einsparen möchten wir:

Bei der WIT ( Wirtschaftsförderung Tübingen) 600 000€. Die WIT produziert Dreifachstrukturen, der Aufsichtsrat tagt hinter verschlossenen Türen. Sinnvoller wären Wirtschaftsfachleute und HgV als beratende BürgerInnen in die entsprechenden Ausschüsse zu berufen. Im Sinne der Transparenz und des Informationsfreiheitsgesetz der kommunalen Demokratie. In den Ausschüssen kann dasselbe verhandelt werden, wenn Datenschutz notwendig ist, selbstverständlich nichtöffentlich. WIT bedeutet Steuerliche Unsicherheiten evtl. – mehr Risiken als Chancen – für Tübingen.

Wir möchten die 140 000 € für die Neuauflage des qualifizierten Mietspiegels einsparen. Wir fordern, den Mietspiegel nicht zu erneuern. Aufgrund des Bundesgesetzes werden nur die in den letzten 4 Jahren erhöhten Mieten zur Berechnung der Mietspiegelwerte herangezogen. Mieterverein Stuttgart u. Deutscher Mieterbund, wie auch die Linke fordern deshalb dringend eine Gesetzesänderung. Es müssen alle Bestandsmieten in die Berechnung aufgenommen werden. Solange das nicht geändert ist, zahlen wir 140 000 Euro für einen Mietererhöhungsspiegel. Was nicht gut gelaufen ist: der Wohnraumbericht 2014 liegt vor, in der Presse wurde darüber berichtet, wegen Überlastung im Planungsausschuss wurde er bisher nicht diskutiert. Das wäre vor der HH-Beratung 2015 sinnvoll gewesen.

Wir unterstützen Anträge zur Erhöhung des Stammkapitals bei der GWG.

Aber das muss dann auch dazu führen, dass mit entsprechendem Fremdkapital der Fünffache Betrag on top investiert wird in sozialen Wohnungsbau.

Zum Thema Regionalstadtbahn:

Die Finanzierung für Modul 1 hat jetzt absoluten Vorrang. Solange Land und Bund ihre Anteile beim Modul 1 nicht abschließend zugesichert haben, – und solange nicht einmal der Ausbau und die Elektrifizierung der bestehenden Strecken gesichert ist, ist die Innenstadtplanung nur teure Propaganda. Planungen für die Innenstadtstrecke für 700 000 € bis 1 Mio sind aus unserer Sicht verfrüht. Kollege Christoph Joachim verlangt von uns, gegenüber dem Land in Vorleistungen zu gehen. Wir sehen es umgekehrt. Die Landesregierung hat versagt, der grüne Verkehrsminister und der SPD-Finanzminister sichern das Risiko für den Bundesanteil nicht ab. Land und Bund müssen endlich ihre Hausaufgaben machen beim Modul 1. Gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag sehen wir den Bund seit der Bahnreform 1994 in der Pflicht, den Betrieb des Schienenpersonennahverkehrs besser finanziell auszustatten und nicht alles den Kommunen aufzubrummen. Im Haushalt 2015 ist angeblich kein Geld da, um Erzieherinnen und Hausmeister zu finanzieren. Wir wollen nicht, dass das Ansehen des Regionalstadtbahn-Projekts Schaden nimmt, weil eine vorauseilende Planung auf dem Rücken der Beschäftigten finanziert wird.

Und wir verlangen, dass bei einer Vorplanung auch ergebnisoffen Alternativen geprüft werden zur Streckenführung über die Neckarbrücke und durch die Mühlstraße.

Streichen der Mietzuschüsse von 461 000 € im Technologiepark Tü u. Reutlingen und Kündigung des Vertrags mit der L-Bank. Der 15 – jährige Knebelvertrag, dem 2002 eine Gemeinderatsmehrheit von SPD, Grüne, FDP, CDU, Freie Liste zugestimmt hat, nähert sich dem Ende.

Der Verwaltungshinweis zu unserem Antrag in der Vorlage 811/ 2014 lautet: Es gibt eine Nachschussverpflichtung der Stadt aus Zuwendungsbescheid bis 2015. Laut § 11des Gesellschaftsvertrags kann mit einer Frist von 24 Monaten zum Ende des Geschäftsjahres gekündigt werden.

Meine persönliche Empfehlung: Palmer geht in eine Apfelsaftschorle-Klausur mit Bamberg und Kretschmann bis der weiße Rauch aufsteigt: Das Ergebnis könnte ein vernünftiger Deal sein:

das Uniklinikum bekommt das Parkhaus und die Stadt kommt 2015 vorzeitig aus dem Vertrag auf der oberen Viehweide und spart jedes Jahr eine halbe Million Euro an Mietsubventionen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen

Die Reichtumsuhr tickt, während ich hier rede steigt pro Sekunde das Privatvermögen um 10 000€, die Staatsschulden um 160 € pro Sekunde.

Die fehlenden Finanzspielräume und die Schulden der Kommunen sind die fehlenden Steuern der Reichen / Schwarze Null nein – wir sind für rote Null, soziale Investitionen sind kein rausgeschmissenes Geld!

Danke für die Aufmerksamkeit.

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