Vor der Sitzung des Gemeinderats-Verwaltungsausschusses am Montag, 28. April, in der ursprünglich über das Budget für die von Boris Palmer geplante Kameraüberwachung des ZOB in Tübingen abgestimmt werden sollte, hatte der Chaostreff Tübingen zu einer Kundgebung auf dem Marktplatz aufgerufen. Neben Redebeiträgen vom Chaostreff sowie von der Piratenpartei gab es auch einen Beitrag von Fabian Everding, Kreisvorstand und Sprecher der Linken in Tübingen:

Fabian Everding argumentiert gegen die Vollüberwachung des ZOB in Tübingen mit Kameras
Fabian Everding, Kreisvorstand der Linken in Tübingen

„Der Planungsausschuss des Gemeinderats wollte heute ursprünglich darüber entscheiden, ob die 25.000 € für die Installation von Überwachungskameras am neuen Omnibusbahnhof ausgegeben werden sollen, die Boris Palmer dafür vorgesehen hat. Zusätzlich zu diesen einmaligen Kosten waren nochmal jährlich bis zu 12.000 € für Wartung und Betrieb vorgesehen.

Angesichts der ausführlichen Debatte über Kürzungen, wegen der ich in den letzten Monaten auch öfter schon hier gestanden bin, weil ich gemeinsam mit anderen gegen die Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich protestiert habe, ist es überraschend, dass nun plötzlich Geld für einen bislang nicht vorhandenen Posten im Haushalt ausgegeben werden soll. Die kürzliche Überprüfung sämtlicher Ausgaben-Zuwächse der letzten Jahre im städtischen Haushalt war die Grundlage für Kürzungsbeschlüsse oder zumindest den Beschluss einzelne Posten im städtischen Haushalt perspektivisch zu streichen, falls sich die Haushaltslage noch weiter verschlechtern sollte. Da klingt es überraschend, wenn nun sogar noch neue Ausgabeposten hinzukommen sollen, jedenfalls wenn sie alles andere als zwingend sind.

Laut der städtischen Vorlage liegt die Kriminalität am neuen Busbahnhof nur leicht über dem Durchschnitt, womit der Platz eigentlich kein besonders „gefährlicher Ort“ ist.
Doch selbst wenn es sich um einen absoluten Kriminalitäts-Hotspot handeln würde, müsste man sich anschauen, ob der Eingriff in die Privatsphäre von allen, die hier notgedrungen unterwegs sind, zum geplanten Nutzen in einem guten Verhältnis steht. Glücklicherweise gibt es zahlreiche Studien zu den Auswirkungen von Kamera-Überwachung im öffentlichen Raum.

Eine wissenschaftliche Auswertung von mehreren Studien zum Nutzen von Kameraüberwachung im öffentlichen Raum aus dem Jahr 2005 kam zu dem Ergebnis, dass Kameraüberwachung auf öffentlichen Plätzen wie etwa Busbahnhöfen oder Stadtzentren kaum eine Reduzierung von Straftaten bewirkt.
Maximal kann es sein, dass sich Kriminalität an andere Orte verlagert. Aber wollen wir dann auch dort Kameras aufstellen? Bis die ganze Stadt mit Kameras voll-gestellt ist

Angesichts der knappen Haushaltslage stellt sich die Frage, warum ausgerechnet jetzt das Geld für eine umstrittene Maßnahme ausgegeben werden sollte, deren Nutzen eher fragwürdig ist.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir an zahlreichen Orte von Kameras gefilmt werden. Während es in der Tiefgarage die Wahrscheinlichkeit eines unbeobachteten Diebstahls tatsächlich senkt und damit aus meiner Sicht in der Gesamtabwägung als sinnvoll hingenommen werden kann, ist Kameraüberwachung ansonsten zur Verhinderung von Straftaten kaum geeignet. Allenfalls könnte im Nachhinein die Aufklärung einer Straftat vereinfacht werden, doch das steht in keinem Verhältnis zur dauerhaften Überwachung des öffentlichen Raums.

Möglicherweise fühlen sich manche Menschen durch Kameras tatsächlich sicherer, doch bei vielen anderen entsteht ein Gefühl der Unsicherheit, wenn nicht klar ist, wer am Bildschirm die eigenen Bewegungen anonym mitverfolgen kann. Zudem können zahlreiche Kameras auch den Eindruck erzeugen: Hier ist es unsicher!

Für die ursächliche Lösung von Problemen bräuchte es Hilfen für diejenigen, von denen möglicherweise Gewalt im Umfeld der Bahnhofs ausgeht:
Mehr Orte an denen sich Menschen ohne Konsumzwang aufhalten können und vielleicht mehr Sozialarbeitende, die Menschen in Problemlagen unterstützen.

Daher hoffe ich, dass sich der Verwaltungsausschuss gegen die fragwürdige und teure Überwachung des neuen Busbahnhofs ausspricht. Für die 25.000 €, die dann eingespart werden, findet sich mit Sicherheit ein anderer sinnvoller Zweck. Ebenso für die jährlichen Folgekosten in Höhe von 12.000 €, die wir uns sparen können!

Ich hoffe wir alle bleiben dran am Thema, solange es nötig ist. Toll, dass ihr heute gekommen seid und vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!“