Gerlinde Strasdeit, Haushaltsrede im Tübinger Gemeinderat, 16.01.2025

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat
Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

Sehr geehrter Herr 0berbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Erster Bürgermeister Herr Soehlke,
sehr geehrte Sozialbürgermeisterin Frau Dr. Schäfer-Vogel,

bei der städtischen Müllabfuhr erleben wir jetzt den 3. Anlauf zur Privatisierung – erstmals 2011, dann 2023 und jetzt wieder bei den Haushaltsberatungen 2025.

Ich beginne mit diesem Thema, weil wir Linken uns nun zum 3 mal im Gemeinderat dafür einsetzen, dass die Tübinger Müllabfuhr auch zukünftig bei der Stadt bleibt und nicht privatisiert wird.

Erneut sollen die Kolleginnen und Kollegen der Müllabfuhr aus den kommunalen Tarifen gekickt werden. Der bestehende Vertrag soll gekündigt, neu ausgeschrieben und ein privat betriebener Firmenverbund ist im Gespräch. Auch wenn erstmal zugesagt ist, dass die bisherigen Beschäftigten bei gleicher Bezahlung gehalten werden: Die kommunale Zuständigkeit wird abgeschafft. Die zukünftigen Beschäftigten werden mit niedrigeren Löhnen abgespeist. Die bisherige Tarifbindung geht kaputt. Die betroffenen Beschäftigten sind die Dummen. Wir wollen, dass die Müllabfuhr bei den kommunalen Servicebetrieben bleibt und – ganz wichtig! – dass die nützlichen Synergieeffekte im Service-Bereich weiter gemeinsam genutzt werden können. Müllautos kann man leasen; aber Beschäftigte haben Rechte. Und sie haben Anspruch auf Würde und einen ordentlichen Tariflohn. Der Personalrat KST unterstützt unsere Forderungen. Die Tübingerinnen und Tübinger finden ihre Müllabfuhr zuverlässig, die bei Wind und Wetter immer sehr zuverlässig ist. Diese platt zu machen – das finden wir grundsätzlich falsch! Und auf Dauer ist die Privatisierung für die Kommunen unterm Strich immer teurer und nicht billiger.

Der Haushalt der Stadt Tübingen ist in einer Schieflage.
Die Stadtverwaltung will diesem Defizit nun zu Leibe rücken mit 6 Millionen Kostendämpfungsprogramm und 4 Millionen globalem Minderaufwand – sowie einer 13-Millionen-Konsolidierungsliste, von der im 2025er-Haushalt nur die ersten 3,5 Millionen wirksam werden.

Damit hätten wir dann – unter großen Anstrengungen seitens der Beschäftigten – ein Defizit von ca. 30 Millionen, das genauso wenig „genehmigungsfähig“ ist wie es 43 Millionen wären. Ein ausgeglichener Haushalt ist angesichts dieser Zahlen nicht erreichbar.

Dann aber unter großen Entbehrungen und Streichungen an den Dingen, die unsere Stadt ausmachen, einen ausgeglicheneren Haushalt anzustreben, ist daneben. Dieses Spiel werden wir so nicht mitmachen.

Denn Bund und Länder verteilen immer mehr Aufgaben an Stadt und Kreis, die sie jedoch nicht mit einer besseren Finanzierung der Kommunen verbinden. Der Kompromiss der Regierungsparteien CDU, FDP, SPD und Grünen lautete stets: Die Koalitionsprogramme werden umgesetzt, indem die Kommunen die Versprechen aus dem Bundestagswahlkampf umsetzen müssen, – ohne dafür Geld hinlänglich Geld zu bekommen– so halten Grüne und SPD ihre Versprechen und CDU und FDP bewahren dem Bund die Schuldenbremse und den Reichen ihre Vermögen. Das kann so nicht weiter gehen.

Gegen diese strukturelle Unterfinanzierung wendet sich auch das Bündnis „Für die Würde unserer Städte“ aus betroffenen Städten aus der ganzen Bundesrepublik. Ein Beitritt zu diesem Bündnis schlagen wir vor.

Ja, die Haushaltslage der Stadt ist prekär. Aber die Schuldzuweisungen des Oberbürgermeisters sind nicht zutreffend. Seine Äußerungen in verschiedenen überregionalen Medien von BILD bis Lanz lauten, die hohen Löhne und die Gewerkschaften seien Schuld an der Misere der kommunalen Haushalte. Das möchte ich zurückweisen.

Die Preise, – vor allem die Mietpreise, – sind in den letzten Jahren durch die Decke geschossen. Die Löhne und Gehälter bei kommunalen Beschäftigten und in Verwaltung und in sozialen Berufen hängen den Bezügen in der Wirtschaft hinterher. Selbst Normalverdienende müssen zunehmend Anspruch auf Wohngeld beantragen. Nicht die Löhne und Gehälter sind davon galoppiert, – sondern die Managergehälter sind in nie geahnte Höhen geschnellt. Das gleiche gilt für die DAX Konzerne und die Vermögen der über 120 Milliardäre im Land. Die Abstriche bei den Kommunalfinanzen vor Ort werden bezahlt mit der militärischen Hochrüstung im Bund – das sind zwei Seiten einer Medaille.

Zugegeben: Das sind alles Dinge! über die wir im Kommunalen Haushalt leider nicht entscheiden können.

Aber trotzdem, das sind alles Dinge von kommunaler Bedeutung. Und Oberbürgermeister Palmer gibt bei Lanz und über den Städtetag Stellungnahmen dazu ab, die sich nicht für eine gerechtere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums einsetzen.

Stattdessen hat sich der Oberbürgermeister entschieden, lieber auf den Schwächsten der Gesellschaft herumzuhacken.
Meine Frage: Warum treten Sie immer nur nach unten und nie nach oben?

Die Aufgabe des städtischen Haushalts ist es, die kommunale Daseinsvorsorge für die Stadtbevölkerung sicher zu stellen – und dafür die notwendigen Finanzmittel bereit zu stellen.

Wir Linken halten einige Punkte der sogenannten Konsolidierungsliste für zustimmungsfähig.

Aber zentrale Punkte können wir NICHT mitverantworten.
Was am 30. Januar im Gemeinderat am Ende beschlossen wird, wissen wir noch nicht.
Was aber als notwendige Konsolidierung daherkommt, ist im Wesen eine massive Kürzungsliste mit 234 kommunalen Einzelpunkten. Unterm Strich nenne ich das eine Giftliste, – eine Giftliste der sozialen Ungerechtigkeit. Denn es geht in dieser Streichliste nicht um überflüssige Luxusartikel sondern um notwendige Investitionen in Schulsozialarbeit, in Kitas, Inklusion, Integration, Bäder, Kultur, Sport, Klimaschutz und öffentlichen Verkehr. Und es geht um einschneidende Maßnahmen beim städtischen Personal für die Jahre 2025 und 2026.

Es gäbe Spielraum um die staatlichen Einnahmen durch eine gerechte Steuer- und Finanzpolitik zu erhöhen.: Wiedereinführung der Vermögens- und Erbschaftssteuer, eine gerechte Finanztransaktionssteuer. Die Reform der Schuldenbremse und wirkungsvolle Regelungen gegen Steuerbetrug und „Steuergestaltung“. Es ist keine verantwortliche Politik, zu diesen Missständen zu schweigen und die Auswirkungen nur „nach unten“ durchzureichen. Das gefährdet den sozialen Zusammenhalt.

 

Unsere wenigen Haushaltsanträge 2025 sind:

  • Wir fordern bei der Gewerbesteuer mehr, weil die Zeiten verschärft sind – und zwar von 390 Punkte auf 430 Punkte zu erhöhen.
  • Die Kassenkredite auf 100 Mio € statt auf 60 Mio. € festzusetzen.
  • 5 000€ Zuschusserhöhung für Jugendraum Pfrondorf e.V.,
  • 2.500 für Festival Cine Palestine
  • Für das Queere Zentrum einen Zuschuss von 14.260€,
  • AK Asyl Südstadt 5000€
  • adis e.V. Zuschuss in Höhe von 10.800€.
  • einen Trailer Geschwindigkeitsmessung für 153 000€

Wir möchten die 80 000€ für den neuen Zaun in der Jahnallee nicht ausgeben!!

Maßgeblich machen wir Streichungen nicht mit: bei der Schulsozialarbeit, bei Inklusion, bei Schulabsentismus. Was für Kinder- und Jugendliche und den Bildungsauftrag notwendig ist – da bleiben wir dran. Viel besser dafür Geld ausgeben als später für Gefängnisse und Psychiatrien.

Das Ludomobil das mobile Spielangebot muss erhalten bleiben. Das besteht schon einige Jahre und ist eine tolle Ergänzung offener Kinder- und Jugendarbeit in infrastrukturell weniger erschlossenen Stadtteilen und isolierten Wohnanlagen für Kinder von 6-12 Jahren und vereinzelt auch jüngere Kinder. Mit der Fachabteilung Hilfen für Geflüchtete werden Anschlussunterkünfte ebenso aus- und- aufgesucht.

Theater Kultur ITZ – wird über 20% auf 800 000€ streichen geht mit uns Linken nicht.

Beim Zukunftsprojekt Regionalstadtbahn warnen wir das Land davor, bei den
zugesagten Mitteln Abstriche zu machen.

Was aus klima- und sozialer Sicht nicht zurückgedreht werden darf, ist die Verkehrswende. Die Einsparungen beim TüBus mit den Takt-Verschlechterung für die Weststadt und für Pfrondorf finden. Da brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn das Auto nicht durch ÖPNV ersetzt wird.

Stichwort Gewerbesteuer
Leider zwingen uns die Gemeindeordnung und die Genehmigungsbehörde – die keine anonyme Behörde ist, sondern politisch von der Grün-Schwarzen Landesregierung geführt wird – zu versuchen, einen möglichst ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und dazu Aufwendungen zu reduzieren und (nicht oder) Erträge zu erhöhen. (GemO BW §80 Abs. 3: und Ausschöpfung aller Ertragsmöglichkeiten)
Deshalb sehen wir die Gemeinde dazu gezwungen, die einzigen Erträge zu erhöhen, über die sie selbst bestimmen kann, also die Gemeindesteuern und hier zuvorderst die (ertragreichere) Gewerbesteuer. In den beiden vergangenen Jahren konnten sehr hohe Gewerbesteuermessbeträge von bis zu achtzehn Millionen erreicht werden. Aufgrund dieser Entwicklung gehen wir für das kommende Jahr von einem Gewerbesteuermessbetrag von ca. 16,5 Millionen Euro aus. Gleichzeitig sehen wir uns dazu gezwungen, den Hebesatz zu erhöhen und schlagen eine Erhöhung um vierzig Punkte vor. Tübingen läge dann grob im Bereich der Städte Freiburg, Stuttgart, Pforzheim und Karlsruhe. Insgesamt erhoffen wir uns so Mehrerträge von 8,5 Millionen Euro. Tatsächlich sind es im Saldo etwas weniger, weil wir bei einem höheren Gewerbesteuermessbetrag auch mehr Gewerbesteuerumlage zahlen müssten. Diese Umlage jedoch ist eigentlich eine Abgabe, weil sie zu 85% in die Haushalte von Bund und Land fließt und eben nicht auf andere Kommunen umgelegt wird. Dass es diese Gewerbesteuerabgabe überhaupt gibt, halten wir vor dem Hintergrund der strukturellen Unterfinanzierung der Kommunen für falsch und schlagen deshalb heute auch eine Resolution für ihre Abschaffung vor.

Stichwort: Genehmigung des Haushalts
Wir appellieren an die anderen Fraktionen, den Haushalt nicht so massiv zusammenzustreichen, wie sie es beantragt haben.
Abgesehen davon, dass die Genehmigung eine politische Entscheidung der Landesregierung ist, ist es völlig unklar, wie negativ das Ergebnis sein darf, um genehmigt zu werden.
Leider wird diese Unklarheit nie ganz beseitigt werden, weil die Genehmigung nicht amtlich beschieden, sondern verhandelt wird – in einer Runde aus OB, Kämmerin und Vertretern des RP. Dieser Prozess ist nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für den Gemeinderat, der eigentlich das Königsrecht hat, völlig intransparent. Würde der Gemeinderat jetzt einen Haushalt beschließen, der genehmigt wird, wäre hinterher nur eines klar: nämlich, dass zu viel gespart wurde – nicht einmal, wieviel zu viel. Selbst wenn ein Haushalt nicht genehmigt würde, gäbe es hinterher mehr Klarheit über den Genehmigungsrahmen. Der Gemeinderat könnte immer noch jederzeit einen anderen, genehmigungsfähigen Haushalt beschließen und nachreichen – zur Not innerhalb von unter zwei Wochen.

Danke für die Aufmerksamkeit!
Danke an die Kämmerei Frau Günthner und Frau Geiss