Haushaltsrede am 24.03.2022

Gerlinde Strasdeit

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Erster – und Baubürgermeister Herr Soehlke,
sehr geehrte Sozialbürgermeisterin Frau Dr. Harsch,
liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Bürgerinnen und Bürger.

was kommt in den nächsten Monaten auf Tübingen zu. Wir haben aktuell drei neue Unbekannte in allen kommunalen Haushalten, die ihren dunklen Schatten werfen auch auf unsere Tübinger Haushaltsberatungen.

  1. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, den wir alle gemeinsam verurteilen. Eskaliert dieser Krieg und geht das schreckliche Töten weiter oder schweigen endlich die Waffen? Leistet unsere Stadtgesellschaft einen wirksamen Beitrag um Menschen in Not zu helfen?
  2. die Frage: welche Schlussfolgerungen ziehen wir und ziehen auch die Stadtwerke aus der Energiekrise? Belasten wir mit überhöhten Energiepreisen und zusätzlichen kommunalen Gebühren weiter auf besonders harte Weise Familien mit Kindern, – und solche Erwerbstätige, die mit geringem Einkommen auskommen müssen und durch die zwei Corona-Jahre am meisten Nachteile hatten.
  3. Die Kommunalen Finanzen. Das geplante Sondervermögen des Bundes von 100 Milliarden allein nur für die Bundeswehr und die Rüstungsindustrie – zusätzlich zum ganz normalen Militär-Haushalt – das wird nicht spurlos an den kommunalen Haushalten vorübergehen. Wir Linke wollen kein Neues Wettrüsten. Machen wir uns nichts vor: das wird ein Streichorchester geben zu Lasten der Städte und Gemeinden. Wir brauchen stattdessen ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Stärkung kommunaler Haushalte. Also ein Sondervermögen für bezahlbares Wohnen, für Bildung, für die Pflege und für die Verkehrs- und Klimawende.

 

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Am 8. März, am internationalen Frauentag waren Erzieher:innen und Sozialarbeiter:innen im Streik und auf der Straße. Ohne diese Berufe läuft nichts. In der Pandemie standen sie besonders unter Stress.

 

70 Erzieher:innen-Stellen sind in Tübingen nicht besetzt. 207 Kitaplätze können nicht angeboten werden. Das ist ein Armutszeugnis für den Bildungsstandort Tübingen. Der Grund ist: die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste verdienen weniger als in vergleichbaren Berufen, in denen mehrheitlich Männer arbeiten. Der Tarifstreit dauert an. Wir Linke sagen: Die Streikenden haben recht. Ihr verdient mehr: mehr Anerkennung, mehr Aufwertung für diesen Beruf, mehr Lohn und bessere Personalschlüssel.

Wir wollen, dass in dieser Stadt nicht länger Amazon, Porsche und Manz der rote Teppich ausgerollt wird – sondern Erzieherinnen und Eltern.

Deshalb beantragen wir einen Schritt in Richtung Gebührenfreiheit für Kitas,
heißt konkret: 25 Stunden pro Kind und Monat sind frei für Eltern mit einem Jahreseinkommen bis 30.000 Euro.

Bereits im Haushalt 2019 haben wir eine Absichtserklärung des Gemeinderats
durchgesetzt, – für Qualitätsverbesserung und für Gebührenermäßigung – ein kommunales Übergangsmodell für die Kitas zu schaffen. Das ist leider in den Coronajahren nie umgesetzt worden. Jetzt braucht es einen neuen Anlauf für ein solches Übergangsmodell.

Wir fordern zudem, für die kleinen freien Kita-Träger den Betriebskostenzuschuss auf volle 100% zu erhöhen.

Zusätzlichen Bedarf sehen wir auch an den Schulen: eine Stelle mehr für Schulsozialarbeit, einen Stellenumfang mehr bei den Hausmeistern, und keine Befristung bei den zwei Stellen Medientechnik an Schulen.

Analog zur Oberstufe der Gemeinschaftsschulen beantragen wir, das Schulbudget der Oberstufe Gymnasien um 7.500 zu erhöhen bzw. gleich zu stellen.

Soweit zum Thema Bildung

Zum Thema Kostendämpfungsprogramm.
Es sollen pauschal über alle Bereiche 4,5 Millionen eingespart werden. So läuft das seit Jahren und das ist kontraproduktiv. Das erzeugt Unmut, weil den Beschäftigten Einsparungen und Überstunden aufgehalst werden. Ergebnis: Die Verwaltung kann in einigen Bereichen ihre Aufgaben nicht mehr voll wahrnehmen (Beispiel Rechtsabteilung). Kosten dämpfen heißt fast immer Kürzen. Und wie letztes Jahr wird noch eine „globale Minderausgabe“ mit 3 Millionen draufgesattelt, per Rasenmäherprinzip.

Dieses Auspress-Programm zu Lasten der Beschäftigten muss beendet werden, die Kosten für die externe Einspar-Beratung von 52.000 Euro sollte den Kitas zugute kommen.

Rein betriebswirtschaftliches Denken kann viel Schaden anrichten. Das gilt auch für die vorgesehene Schließung des Pfrondorfer 15-Betten Pflegeheims, wenn die Sanierung des Pauline Krone Heims abgeschlossen ist.

Mindestens bis zur Fertigstellung des geplanten Pflegeheims im neuen Baugebiet Weiher sollte Pfrondorf bleiben. Mindestens für solange beantragen wir die Ausgleichsunterstützung von der Stadt an die AHT. Es kann nicht sein, dass die städtische Tochter AHT gGmbH den Bauplatz für 1,1 Mio. Euro am Hechinger Eck von der Stadt abkaufen und betriebswirtschaftlich verkraften muss und gleichzeitig ist für den Erhalt des „Klein Pflegeheims Pfrondorf“ kein Geld da. Das Pfrondorfer Ensemble Betreutes Wohnen mit Anschluss zur stationären Pflege darf nicht kaputt gemacht werden. Die AHT ist eine städtische Einrichtung. Die Einrichtung Pfrondorf wurde vor zehn Jahren im Gemeinderat beschlossen und gebaut um einen kommunalen Beitrag zu leisten für ein würdiges Leben im Alter.

Zum Thema Niedriglohn und zur Situation der überwiegend weiblich Beschäftigten bei den städtischen Reinigungsdiensten: Wir beantragen, dass alle städtischen Reinigungsbeschäftigte nach TVÖD-Tarif bezahlt werden. Seit 2009 gibt es 50% Fremdfirmen u. 50% Eigenreinigung bei der Stadt. Diese hälftige Tarifflucht der Stadt aus dem TvÖD ist eine Ungleichbehandlung der Reinigungskräfte und muss beendet werden.

Auch dieses Jahr fordern wir eine Senkung des Hebesatzes der Grundsteuer B von 660 auf 610. Begründung: Die überhöhte Grundsteuer in Tübingen belastet vor allem Mieterinnen und Mieter, weil sie voll als umlagefähige Nebenkosten
den Mietern aufgebürdet werden. Das betrifft in Tübingen über die Hälfte des Wohnungsbestandes und zudem auch viele kleine selbstnutzende Eigentümer.
Wir sollten das Mietniveau dämpfen und deckeln nicht noch staatlich hochtreiben. Als Ausgleich schlagen wir eine leichte Anhebung des Gewerbesteuer-Hebesatzes für Betriebe vor, die über der Freigrenze liegen.

Damit komme ich zu unserem Schwerpunkt Verkehrswende

Wir Linke stehen zum Klimaschutzprogramm, das im Gemeinderat beschlossen wurde. Aber wir wollen den Klimaschutz und die Verkehrswende nicht mit sozialer Ausgrenzung bezahlen. Auch Familien mit geringem Einkommen müssen sich eine klimagerechte Lebensweise leisten können, besonders bei der Strom u. Gasrechnung und der Mobilität.

Die aktuellen Energiepreissteigerungen sind die drängendste soziale Frage der Stunde. Heizung und Mobilität dürfen nicht zum Luxusgut werden. Wer will, dass der Umstieg auf die Erneuerbaren Energien gelingt und der Klimaschutz weiter eine breite Akzeptanz in der gesamten Bevölkerung hat, muss dafür sorgen, dass ökologische Maßnahmen sozial ausgewogen sind.

Wir legen aus diesem Grund in diesem Haushalt besonderen Wert auf die Optimierung des Busnetzes und wir wollen einen Einstieg in den ticketfreien TüBus.

Auf die 5 neuen Stellen Klimaschutz, die pauschal im Haushalt, stehen aber überhaupt nicht klar ist, was sie dann zu tun haben, wollen wir verzichten.

Stattdessen beantragen wir im ÖPNV eine Erhöhung der Sachmittel um 100 000 € für neue Planungen und eine neue Personalstelle konkret für die Nahverkehrsplanung:  60.000 €.

Die Regionalstadtbahn Neckar-Alb ist das wichtigste Verkehrsprojekt in der Region. Jetzt ist es an der Zeit, passende Alternativlösungen zur abgelehnten Innenstadtstrecke zu erarbeiten und auf das dazu bereits Erarbeitete zurückzugreifen. Das ist Sache der Verwaltung und des Gemeinderats und darf nicht allein dem Aufsichtsrat der Stadtwerke überlassen werden, der das hinter verschlossenen Türen verhandelt. Flexible Direkt- und Schnellverbindungen mit umweltfreundlichem Antrieb müssen konzipiert und ermöglicht werden – dafür vorerst 100 000 €

Da die Innenstadtstrecke der Stadtbahn nicht gebaut wird, muss die Planung für das Bussystem und für den Umstieg von der Bahn auf den Bus überarbeitet und angepasst werden; am Europaplatz / Südausgang Bhf. Anpassung der Planung an den geänderten Bedarf – effektive Umsteigeanschlüsse auch am Westbahnhof und der Neckaraue. Da braucht es neue Detailplanungen. Dafür 50 000 €;

(Ganz aktuell zur ISS; Antrag der AL-Grünen):

Wenn die Grünen heute Vormittag ganz plötzlich 100.000 € für die Prüfung alternativer Schienenkorridore für die Innenstadtstrecke fordern, sagen wir erstaunt: huch, interessant. Umdenken ist gut. Prüfung ist gut. Wir haben genau das vor dem Bürgerentscheid ein ganzes Jahr lang gefordert und uns wurde immer wieder der Vogel gezeigt.

Um die Klimaziele zu erreichen fordern wir einen ökosozialen Ruck für den ticketfreien TüBus. Das ist uns in diesem Haushalt besonders wichtig.

Um dabei weiter zu kommen, im Jahr 2022 zu planen und ab 2023 umsetzen zu können, sollen im jetzigen Haushalt für Planung und Organisation 150 000 € eingestellt werden.

Als Sofortmaßnahme noch dieses Jahr fordern wir eine weitere Absenkung der Schülertickets um 5 €;

  • Tübingen ist in den letzten Jahren erheblich gewachsen –
    Eine Verkehrswende kann nur gelingen, wenn wir den Menschen ermöglichen, ihre Wege, zur Arbeit, zum Einkauf, zu Behörden, und zur Freizeitgestaltung so effektiv und kostengünstig wie möglich abzuwickeln.
  • Das Angebot muss einfach und unbürokratisch und auch für den Geldbeutel interessant sein. Genau das leistet ein ticketfreier Nahverkehr.
  • Die Abschaffung von Fahrkartenautomaten zum Beispiel spart den Kunden Zeit und der Gemeinde Geld.
  • Den ticketfreien Nahverkehr gibt es nicht zum Nulltarif, aber mit dem ticketfreien ÖPNV werden die Kosten der Mobilität auf alle Schultern, und damit gerechter verteilt. Wir wollen nicht warten bis die Landesregierung ihre Absichtserklärungen endlich umsetzt, eine gesetzliche Grundlage für eine Nahverkehrs-Umlage zu schaffen, die wir gerne sozial staffeln würden.
  • Es gibt inzwischen Erfahrungen in vielen anderen (größeren und kleineren) Städten, alle beweisen, der ticketfreie Nahverkehr ist machbar, bringt Menschen dazu ihr Auto stehen zu lassen und den ÖPNV zu nutzen und verbessert die Klima- und Umweltsituation.

Herr Oberbürgermeister, Sie haben sich bereits vor Jahren für einen ticketfreien TüBus eingesetzt.

Nutzen wir gemeinsam diesen Haushalt, um endlich einen Schritt dabei weiter zu kommen.

Als Dankeschön dafür haben wir Ihnen, Herr Oberbürgermeister, für Ihren PC eine technische Optimierung beantragt, die es Ihnen erleichtert, bei Hybridsitzungen den Überblick zu behalten.

 

Danke

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