Ja zum Gesamtprojekt Regionalstadtbahn, kein Vorgriff auf Bürgerentscheid zur Innenstadtstrecke

Gerlinde Strasdeit, Fraktionsvorsitzende

Stellungnahme im Gemeinderat am 26. 7.2021 zu Finanzierungseckpunkten Regiostadtbahn Vorlage 207a/2021 und Bericht über die Vereinbarung zwischen Kreis- und Stadt zur Innenstadtstrecke.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Erster – und Baubürgermeister Herr Soehlke,
sehr geehrte Sozialbürgermeisterin Frau Dr. Harsch,

liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Vorab möchte ich für meine Fraktion kritisieren, dass wir wichtige Berichtspapiere für die heutige Beratung – mit Datum 6. Juli und 9. Juli – erst gerade vorher, gegen 16 Uhr, erhalten haben. Also 207b und 207c. Was soll das? Das ist eine Zumutung Herr Oberbürgermeister.

Wir spielen hier doch nicht Überfallkommando.

Ich komme zum Thema:
Kein Kommunales Gremium ist berechtigt, dem Ergebnis des Bürgerentscheids am 26. September vorzugreifen.

Deshalb legen wir Wert darauf im Protokoll der heutigen Sitzung ausdrücklich festzuhalten, dass die Beschlussfassung über die Finanzierungs-Eckpunkte des Zweckverbandes kein Vorgriff ist auf die Entscheidung der Tübinger Bevölkerung über die Innenstadtstrecke in Tübingen. Ich wiederhole fürs Protokoll: kein Vorgriff auf den Bürgerentscheid am 26.9.. Ich hatte Herrn Oberbürgermeister Palmer deshalb auch schon schriftlich gebeten, bei allen Absichtserklärungen und Vorvereinbarungen und Vor-Vor-Vereinbarungen genau darauf hinzuweisen. Der hatte das zugesichert.

Warum betone ich das?

Sowohl Herr Dr. Seidemann, Geschäftsführer des Zweckverbandes als auch Herr OB Palmer haben mir bestätigt, dass eine Zustimmung zum Finanzierungsschlüssel und den Eckpunkten der Gesamtstrecke keine Zustimmung bedeutet zur Innenstadtstrecke.

Die Beschreibung im sogenannten Steckbrief 7 würde bei einem NEIN-Ergebnis deshalb schlicht gegenstandslos. Der Schlüssel des Zweckverbandes, den wir heute beschließen, ist – mit und ohne Innenstadtstrecke – für das gesamte RSB-Netz anwendbar. Wir beschließen in der Vorlage 207 also nicht über die Aufteilung der Kosten bezüglich der einzelnen Module, sondern über die Eckpunkte des Gesamtprojekts.

Deshalb habe ich im beschließenden Ausschuss des Zweckverbandes zugestimmt. Deshalb hat auch unsere Kreistagsfraktion JA zu den Eckpunkten gesagt und deshalb sage auch ich – als überzeugte Gegnerin der Innenstadtstreckenführung – dem kann man zustimmen.

Die Finanzierung des kommunalen Anteils des Moduls Innenstadtstrecke und die Vereinbarung über die Aufteilung der Kosten zwischen Landkreis und Stadt Tübingen tragen wir nicht mit. Den Bericht und die Festlegungen der Vereinbarung akzeptieren wir nicht, dafür gibt es für den Tübinger Gemeinderat vor dem Bürgerentscheid keine demokratische Legitimation.

Ich finde es zudem auch sehr schade, dass im heutigen Beschlussantrag der Verwaltung zu den Eckpunkten des Zweckverbandes ein verwaltungsmäßiger Kasernenton durchgebrochen ist. Wir arbeiten hier doch nicht nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam und auch nicht nach Anweisung.

Die Formulierung in der Verwaltungsvorlage ist für ein demokratisches Gremium der kommunalen Selbstverwaltung rechtlich zulässig aber unpassend. Denn streng formal sollen wir heute nicht etwa über Inhalte abstimmen sondern über eine Anweisung. Ist das notwendig? Im Kreistag war das nicht notwendig. Da gab es einen inhaltlichen Beschluss, keinen Befehl, keine Anweisung – und trotzdem eine Klare Beschlussfassung.

Zur inhaltlichen Klarstellung:

Wir Linken unterstützen das Gesamtprojekt Regionalstadtbahn Neckaralb ausdrücklich, denn wir wollen die Verkehrswende; wir wollen den Umstieg in der Region vom Auto auf Bus und Bahn beschleunigen. Und wir wollen kostenfreie Mobilität. In diesem Sinne befürworten und unterstützen wir die Eckpunkte des Finanzierungsschlüssels des Zweckverbandes Regionalstadtbahn Neckar Alb.

Der Eindruck, der vor allem von den Grünen immer wieder erweckt wird und nur zur allgemeinen Verwirrung beiträgt, lautet: Die gesamte Regionalstadtbahn mache nur dann Sinn, wenn die Innenstadtstrecke über die Karlstraße – Mühlstraße und Wilhelmstraße durchgeht. Diesen Blick halte ich für falsch. Wir sagen: Die anderen Module sind auch für sich stehend sinnvoll, Beispiel Ausbau der Ammertalbahn, Beispiel Ausbau der Neckar-Alb-Bahn.

Ja, wir haben Zweifel speziell an der Seriosität der geplanten Kostenaufteilung bezüglich dem Verlauf der Tübinger Innenstadtstrecke, zumal mit Preiskalkulationen gerechnet wird, die über 5 Jahre alt sind, von 2016. Der eingerechnete Zuschlag von plus 20% deckt nicht mal die gestiegenen und derzeit explodierenden Baukosten ab, geschweige denn die bislang nicht eingerechneten Kollateralschäden entlang der Strecke.

Das Regelwerk der standardisierten Bewertung zwingt dazu, auf Haltestellen zu verzichten und den bisher umsteigefreien Busverkehr in der Kernstadt und z.B. in Weilheim zu verschlechtern statt zu verbessern.

Explizit nicht eingerechnet bei der jetzigen Finanzierungsplanung sind die mindestens 50 bis 80 Millionen Euro – um Unigebäude, Labore und Forschungsinstitute von der Innenstadtstrecke weg auf die Rosenau oder gar auf den Steinenberg zu verfrachten und um Gebäudeschäden zu vermeiden. Ein Fass ohne Boden, wenn man bedenkt, dass auch die ganzen altehrwürdigen Gebäude zwischen Bahnhof – Karlstraße – Mühlstraße Wilhelmstraße nicht von Erschütterungsschäden und Elektromagnetischer Beeinträchtigung verschont bleiben werden. Im Workshop zur Mühlstraße – hieß es, „ja, die Bahn „flattere“. Wo bitte bei welcher Bewertung rechnen Sie das alles ein?

Und noch eine spezielle Frage, die nicht beantwortet ist: Wie kann ein Brand mitten in der Mühlstraße trotz Behinderung durch Oberleitungen gelöscht werden?

Immer wieder wurde angeregt, in der Mühlstraße ein Modell zwei sich begegnender Stadtbahnen aufzubauen. Mit Nachbildungen von Strommasten. Ein Samstag Mühlstraßensperrung würde reichen, zwei Laster oder zwei Traktoren mit Anhänger und Aufbauten aus Pappmache im Echt-Maßstab wie die Stadtbahn. Jeder Fasnetsverein könnte behilflich sein. Warum scheut die Verwaltung den Faktencheck wie der Teufel das Weihwasser? Warum wird verhindert, dass die Bevölkerung mal einige Stunden die Realität in den Blick nehmen kann?

Es gibt moderne Alternativen zur Innenstadtstrecke. Zum Beispiel neuartige Oberleitungs-Elektro-Busse – die auf Teilstrecken Oberleitungen nutzen können und teils mit Batterie betrieben werden. Das wäre eine Alternative: tangential über den Hagellocher-Weg auf den Schnarrenberg und auf WHO – das wäre eine preiswerte, schnelle und ökologische Variante, um die Innenstadt zu entlasten statt auf Jahre hinaus mit Baumaßnahmen zu belasten.
Busse, die direkt an die Zug-Bahnsteige fahren, könnten für die vielbetonte Umsteigefreundlichkeit sorgen.

Die jetzige Innenstadtstreckenführung ist aus unserer Sicht ein unökologisches und stadtzerstörerisches Projekt.

* Die Klimabilanz der ISS ist schlechter als die alternativer Lösungen.

* Der Bau dauert Jahre, klimafreundliche Alternativen sind jetzt zu haben.

* Das historische Stadtbild wird geschädigt.

Die Finanz-Vereinbarung mit dem Landkreis ist trügerisch und instabil. Die sogenannten mittelbaren Begleitkosten, also die Beschädigungen und Folgekosten entlang der Innenstadtstrecke, werden nicht beziffert, aber bei der Stadt hängenbleiben und uns auf Jahrzehnte weiter beschäftigen, wenn reihenweise die Gebäude an der Fahrtstrecke beeinträchtigt sind.

Sie Herr Palmer bezeichnen das verharmlosend als „gestalterische Kosten“, die bei der Stadt verbleiben.

Ausdrücklich wird es dazu in der Präambel der Vereinbarung zwischen Stadt und Landkreis heißen:

„Zu diesen mittelbaren Kosten zählen insbesondere auch die Kostenanteile für Standortverlagerungen von Gebäuden aufgrund von, durch den RSB-Betrieb bedingte, Erschütterungen, elektromagnetischen Feldveränderungen oder ähnlichem.“

Das heißt so viel wie: das bleibt alles offen. Darüber wird weiter verhandelt und man hofft darauf, dass das Land für alle diese Kosten eintritt.
Zusagen aus Stuttgart gibt es dafür nicht. Auch die heute erst torschlusspanisch nachgeschobenen Berichte belegen: Sie haben das Problem als Finanzbürgermeister nicht im Griff: viel Propaganda – keine Substanz.

Zum Schluss eine Vision:

Eine tangentiale Regio-Bahnstrecke etwa ab Westbahnhof über den Hagellocher Weg auf den Berg und über den Nordring auf WHO wäre verkehrstechnisch sinnvoller und würde die Innenstadt verschonen, das wurde mehrmals in den letzten 2 Jahren in Leserbriefen angesprochen, aber leider immer hartnäckig ignoriert. Leider passt eine solche stadtverträgliche und vernünftige Überlegung nicht in die derzeitige Förderlogik einer standardisierten Bewertung, aber vielleicht wäre man da in fünf Jahren gescheiter als Heute, wenn die erwarteten vielen neuen Arbeitsplätze in den Höhenlagen tatsächlich kommen. Und der Charme von Tübingen bliebe trotzdem erhalten!

Danke!

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