Wir als Linke-Gemeinderatsfraktion möchten uns der Stellungnahme des Bündnis Bleiberecht und den ehrenamtlichen Unterstützer*innen der Unterkunft Europastraße anschließen.

Selbst wenn der Oberbürgermeister Palmer und die Bürgermeisterin Frau Dr. Harsch die rechtliche Grundlage für die Abschiebung des Pakistanischen Asylbewerbers am letzten Dienstag in der Ausländerbehörde als gegeben betrachten, lehnen wir dies aus folgenden Gründen ab:

Das Ausländeramt muss sich auf seine originären Aufgaben beschränken und darf unter keinen Umständen als Instrument des Regierungspräsidiums fungieren, nämlich angeordnete Abschiebungen durchzuführen. Dies führt zur massiven Verunsicherung der Kund*innen des Ausländeramtes, die in der Regel dieses zur Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung, der Passverlängerung oder anderer ausländerrechtlicher Angelegenheiten aufsuchen.

Die Beschäftigten des Bürgeramtes und der städtischen Ausländerbehörde  (und damit meinen wir alle, auch die Leitungsebene) dürfen auf keinen Fall so etwas wie der verlängerte Arm der Polizeibehörde sein. Dies ist die Instrumentalisierung auch der städtischen Beschäftigten und führt dazu, dass auch bei diesen eine starke Verunsicherung bis hin zu Ängsten eintritt.

Es widerspricht jeder integrationspolitischer Zielsetzung, wenn auf einmal Ämter und Behörden mit einer völlig anderen Zielsetzung (Beratung und Dienstleistung) zur Polizeibehörde mutieren und als Ausführungsort einer strikten Abschiebepolitik missbraucht werden.

Eine gute Integrationspolitik braucht das Vertrauen aller Menschen. Der Geflüchteten, der ehrenamtlichen Unterstützer*innen und der Menschen, die in der Stadt Zugewanderte professionell beraten und begleiten. Orte, an denen diese Beratung und Begleitung stattfindet, dürfen unter keinen Umständen für die oben genannten Abschiebungen missbraucht werden.

Abschließend sollte Menschen, die zwangsweise in ihr Herkunftsland zurückmüssen, wenigstens die Gelegenheit gegeben werden, sich von Freund*innen und Unterstützer*innen zu verabschieden, ihre Medikamente und persönlichen Dinge mitzunehmen.

Die Stadt ist keineswegs gezwungen, diese Anordnung des Regierungspräsidiums durchzuführen. Sie kann sich dem entgegenstellen, mit den oben angeführten Argumenten. Manchmal ist auch Zivilcourage gefordert.

Gitta Rosenkranz, Evelyn Ellwart, Birgit Hoberg, Gerlinde Strasdeit


Gemeinsamer Offener Brief von Bewohnern der AU Europastraße und ihren Unterstützer*innen zuAbschiebung von Sabir H. am 04.02.2020

Wir protestieren auf das Schärfste gegen die Verhaftung und Abschiebung unseres Freundes und Mitbewohners Sabir in den Räumlichkeiten des Bürgeramts in Tübingen. Er wohnte bis zu dieser Woche bei uns in der Unterkunft Europastraße.

Sabir musste am Dienstag zur Ausländerbehörde im Bürgeramt in Tübingen gehen. Er hat vielleicht gedacht, dass er dort einfach ein weiteres Mal seine Aufenthaltsdokumente erneuern lassen soll, so wie in all den Jahren, die er schon in Tübingen gelebt hat. Aber als er dieses Mal im Bürgeramt ankam, wartete dort bereits die Polizei auf ihn. Er wurde direkt dort im Bürgeramt verhaftet und in das Abschiebegefängnis nach Pforzheim gebracht. Seitdem haben wir keinerlei Kontakt mehr zu Sabir. Wir befürchten, dass er bereits am nächsten Morgen aus der Abschiebehaft nach Pakistan abgeschoben wurde.

Es ist eine Schande, dass Mitarbeiter*innen unserer Stadtverwaltung sichan solch einer unwürdigen Aktion beteiligen, indem sie einenMenschen unter einem Vorwand in ihre Büros einladen, um ihndort von der Polizei verhaften und anschließend deportieren zu lassen!

Wir sind alle schockiert und wütend über diesen Vertrauensbruch! Etliche von uns haben – so wie Sabir auch – noch keinen gesicherten Aufenthaltsstatus und müssen deshalb regelmäßig die Räumlichkeiten der Ausländerbehörde im Bürgeramt aufsuchen. Sie haben nun große Angst davor, das nächste Mal zum Bürgeramt gehen zu müssen:

Wie sollen wir den Mitarbeitern dort jetzt noch vertrauen? Wartet dann auch auf uns schon die Polizei? Wie kann es sein, dass Menschen, die in gutem Glauben eine deutsche Behörde aufsuchen, zuvor von dieser über den Zweck des Besuchs im Unklaren gelassen und stattdessen verhaftet, eingesperrt und abgeschoben werden?

Jede von Innenministerium und Regierungspräsidien angeordnete und durchgeführte Abschiebung stellt einen tiefen Einschnitt und eine persönliche Katastrophe für die Betroffenen dar. Es gibtkein Gesetz, das die städtische Ausländerbehörde in Tübingen dazu zwingt, in so einervollkommen inakzeptablen Art und Weise aktivan solchen Abschiebungen mitzuwirken!

Hinzu kommt auch noch, dass eine solche Art der Abschiebung die Unmenschlichkeit und Gewalt, die der betroffenen Person angetan wird, noch weiter steigert. Eine in dieser Form vollzogene Abschiebung macht es unmöglich, das die geflohene Person sich von ihrem sozialen Umfeld verabschieden kann, sie macht es unmöglich, dass sich die Person in irgendeiner Weise auf die Zwangsmaßnahme vorbereiten kann, sie macht es unmöglich, dass die eigenen Sachen, Unterlagen oder Medikamente mitgenommen werden können. Wer an solchen Abschiebungen mitwirkt, entscheidet damit auch, dass grundlegende Menschenrechte für den betroffenen Menschen nicht mehr gelten.

Wir wollen nicht, dass in unserer Stadt, von unserer eigenen Stadtverwaltung, so mit uns und unseren Mitmenschen umgegangen wird!

Wir fordern stattdessen einen ehrlichen, fairen und solidarischen Umgang mit allen Tübingerinnen und Tübingern, unabhängig davon ob sie ausländische Wurzeln haben und egal welchen Aufenthaltsstatus sie haben!

Vor allem für die kommunale Ausländerbehörde sollte künftig in jedem Einzelfall nicht mehr eine mögliche Aufenthaltsbeendigung, sondern die Aufenthaltsverfestigung an erster Stelle stehen. Die Mitarbeiter*innen dort sollen sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für gute Bleibe- und Integrationschancen aller ihnen anvertrauten Menschen stark machen dürfen!

Dazu braucht es ein klares Signal und den Rückhalt der politischen Gremien und der Verwaltungsspitze der Stadt, dass dies für alle in Tübingen lebenden Menschen mit Flucht- oder Migrationsbiografie gilt und ein solches Leitbild auch „von oben“ uneingeschränkt und aktiv unterstützt wird!

Wir wollen, dass mit der gleichen Einmütigkeit und dem gleichen großen Engagement wie beim Klimaschutz auch aktiv darauf hingearbeitet wird, dass unser Tübingen langfristig zu einer solidarischen und sicheren Stadt für alle hier lebenden Menschen wird, aus der niemand mehr in Elend, Krieg oder Gewaltherrschaft abgeschoben wird – jedenfalls in keiner Weise mehr unter Beteiligung unserer Tübinger Stadtverwaltung!
Gezeichnet: Mitbewohner und Freunde von Sabir aus der Unterkunft Europastraße
Unterstützerkreis AK Europastraße
sowie Bündnis Bleiberecht Tübingen