Warum ich bei der LINKEN richtig bin!

Abschiedsrede von Evelyn Ellwart, die unsere Gemeinderatsfraktion aus beruflichen Gründen verlässt:

Evelyn Ellwart

Evelyn Ellwart, Linke-Stadträtin

Warum ich bei der LINKEN richtig bin! Meine Abschiedsrede im Gemeinderat

„Liebe Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung, lieber OB Boris Palmer,

Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“

Mit diesem Satz von Rosa Luxemburg möchte ich heute am Holocaustgedenktag in meine kleine Abschiedsrede einsteigen.

Ich habe bemerkt: Im Tübinger Gemeinderat sind die Andersdenkenden die Linken. Wir denken garnicht immer so anders als Sie. Oder manchmal denken Sie das gleiche wie wir, aber weil wir in der Schublade der Linken sind und Sie, die anderen, da nicht hineinwollen, lehnen Sie unsere Gedanken meistens im Vorhinein ab.

Diese Schublade ist vom ersten Tag an an meiner Seite gewesen. „Ob ich jetzt Direktiven von Putin entgegennehme“ wurde ich aus grüner Ecke befragt. Ich war die gleiche wie vorher. Mit einem Mal konfrontiert mit der Abwehrmauer der Vorurteile, die offenbar nichts mit mir zu tun hatten. Nicht nur mit den Reaktionen aus dem grünen Umfeld, aus dem ich kam, sondern auch in der häufigen Andersbehandlung der Linken-Fraktion im Rat wurde die Schublade deutlich: Manchmal mehr, manchmal weniger subtil: Unterbrechungen, ins Wort fallen, kleine spitze Beleidigungen nebenbei, Aufseufzen, die Augen verdrehen, grundsätzliche Ablehnung von Vorschlägen, Abwiegeln statt Hinhören.

Nun, das „Schreckgespenst des Kommunismus“ ist auch hier im Rat wirksam.

Und das ist schade.

Gerade an diesem besonderen Tag, dem Holocaustgedenktag, möchte ich aufgreifen, warum.

2019 wurde ich, die ich zum ersten Mal auf der linken Liste antrat, anstatt auf der Liste von AL-Grünen, von Listenplatz 7 auf 3 hoch und in das Gremium hineingewählt.

Wie konnte das kommen? Ich habe 2017 – damals noch als Teil des Vorstands von AL – die BI Aubrunnen mitbegründet und befeuert. Wir haben gewonnen. Das Wasserschutzgebiet und der Au-Brunnen wurden nicht dem Gewerbe geopfert. Es kann sein: Daran haben sich Leute erinnert. Es kann sein: Sie haben mich in den Gemeinderat gewählt, um diese Perspektive darin zu haben, die da heißt:

Dass unserem ungebremsten Wachstumsfuror eine Grenze gesetzt wird. Dass wir innehalten und uns fragen: Was tun wir denn da? Und neue Lösungen suchen und entwickeln.

Herr Palmer hat mir in einer Debatte um den Technologiepark einmal entgegnet, er wolle „Wohlstand und Wachstum für diese Stadt“.

Ich entgegne: „Ich will Suffizienz und ein anderes Wirtschaften.“

Unser kapitalistisches Modell ist an seine Grenzen geraten, global gesehen. Hier in Tübingen scheint diese Botschaft noch nicht ganz angekommen zu sein.

Das kapitalistische Modell richtet auf dem Planeten Unheil an. Die Klimakatastrophe ist die direkte Folge davon.

Kapitalismus ist nicht versteckt, sondern ganz offensichtlich und es gibt ein leichtes Diagnosekriterium dafür, und zwar: Sobald es Ausbeuter und Ausgebeutete gibt. Sobald es einen Profiteur und eine Menge Verlierer gibt, sobald viel Geld auf der einen Waagschale in der Hand von wenigen und Armut von vielen auf der anderen liegt.

Im Gemeinderat lässt sich diese Diagnostik ebenfalls ganz leicht anwenden und zwar mit einem: Cui bono?

Wer hat etwas davon? Wer profitiert? Wer ist der Ausbeuter und wer der Ausgebeutete? Wer verliert, wer gewinnt? Mit diesem Diagnosekriterium ist es leicht, den Blick zu schärfen: auf das Umland der Stadt Tübingen, auf die Menschen mit dem kleinen Geldbeutel, auf die Menschen in den „Außenseiter-Schubladen“ und ohne große Lobby: das sind oft die Jugendlichen, manchmal die Obdachlosen und auch die Putzfrau steht dafür, aber auch der Metallarbeiter, das sind Frauen aller Schichten und Menschen, die nicht in die heterosexuelle Norm passen.

Ich bin nach drei Jahren davon überzeugt, dass Sie alle hier im Rat zu diesen Fragen eine offene Haltung haben. Ich werbe dafür, künftig die Stimme der Linken als eine aus Ihrem eigenen Herzen zu vernehmen und nicht aus der Schublade des Schreckgespensts.

Ich würde mich freuen, wenn von meiner Arbeit also zwei Prinzipien im Gemeinderat bleiben:

Das Suffizienzprinzip von Niko Paech und das Gemeinwohlprinzip von Christian Felber.

Was genügt? Was braucht man wirklich? Und wie können wir das Gemeinwohl vermehren? Und welche Formen des Wirtschaftens können wir hier vor Ort unterstützen, die den „commons“, dem Gemeinwohl, zugute kommen?

Mein Koordinatensystem setzt sich unbeirrt zusammen aus Suffizienz, Gemeinwohl und der Frage:„wem nutzt’s“ und der Vermehrung des Friedens im Kleinen und global. Mit diesem Koordinatensystem fühle ich mich in der Linken gut verortet. Mit diesem ausgestattet konnte ich in meiner Gemeinderatszeit problemlos mit mir vereinbaren, dem Klimaschutzprogramm zuzustimmen und an einer klimatologischen Wende mitzuwirken, egal von wem sie kommt. So konnte ich ebenfalls problemlos dem Ausverkauf städtischen Bodens widersprechen, auch wenn darauf Sozialwohnungen gebaut werden. Nicht Schubladen sollten uns Orientierung geben – Schubladen sind nur Orientierungsnotnägel – sondern geteilte Werte.

Eine linke Person sein heißt für mich: dieses Koordinatensystem zu achten, dabei achtsam zu bleiben, das heißt: Kategorien infrage zu stellen, Sachlagen neu zu überprüfen und sich permanent weiterzuentwickeln. Links sein heißt beweglich sein angesichts der Realität, aber unbeirrbar im Kern der Gerechtigkeit.

Meine fast drei Jahre im Gemeinderat habe ich mich der Aufgabe gewidmet mein Andersdenken, unser Andersdenken mit Ihnen zu teilen. Anfangs tituliert als Enfant Terrible, ist es gegen Ende besser geworden. Wir waren auf einem guten Weg und ich bin traurig zu gehen, aber hoffnungsfroh, dass es mit den Nachfolgenden weitergeht.

„Wieviel Differenz lässt sich aushalten ist der Maßstab gelebter Demokratie.“ Das sagt Carolin Emcke, die 2016 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen hat.

In Tübingen haben wir viel Differenz ausgehalten. Nicht nur mich. Sondern auch den gewaltfreien zivilen Ungehorsamen des Amazon-Protests im Ratssaal wie auch die Facebook-Entgleisungen unseres OB. Ich bin froh und im Carolin Emckschen Sinne „beruhigt“, Teil einer Stadt zu sein, in der es dies gibt.

Zum Schluss möchte ich aus Carolin Emckes Buch „Gegen den Hass“ zitieren:

Solange ich diese Verschiedenheit im öffentlichen Raum sehe, so lange weiß ich die Freiheitsräume gewahrt, in denen ich als Individuum mit all meinen Eigenheiten, meinen Sehnsüchten, meinen möglicherweise abweichenden Überzeugungen oder Praktiken geschützt werde“ (S.194)

In diesem Sinne bedanke ich mich bei Ihnen, dass Sie mich als Individuum und als Teil der Fraktion mit meinen Überzeugungen ausgehalten haben und wünsche dem Gemeinderat künftig weiterhin Erfolg in einem respektvollen Umgang mit den Andersdenkenden.“

(Gewidmet Ilker Ersin)

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