Zweifel am Finanzierungsschlüssel

Stellungnahme im Gemeinderat am 1.7.2021 zum Finanzierungsschlüssel Regiostadtbahn Vorlage 207/2021 und der Vereinbarung zwischen Kreis- und Stadt über die Kostentragung der Regional-Stadtbahn Neckar-Alb – Berichtsvorlage 207a/2021

Gerlinde Strasdeit, Fraktionsvorsitzende

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Palmer,
sehr geehrter Erster – und Baubürgermeister Herr Soehlke,
sehr geehrte Sozialbürgermeisterin Frau Dr. Harsch,

liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

wir haben Zweifel am jetzigen Finanzierungsschlüssel bezüglich dem Verlauf der Tübinger Innenstadtstrecke, zumal mit Preiskalkulationen gerechnet wird, die 5 Jahre alt sind, von 2016. Es wird der Zuschlag von plus 21% genannt, aber die Aussagen sind unsicher.

Das Regelwerk der standardisierten Bewertung zwingt dazu, auf Haltestellen zu verzichten und den bisher umsteigefreien Busverkehr in der Kernstadt und z.B. in Weilheim zu verschlechtern statt zu verbessern. Explizit nicht eingerechnet bei der jetzigen Finanzierungsplanung sind die mindestens 50 Millionen Euro – um Unigebäude, Labore und Forschungsinstitute von der Innenstadtstrecke weg auf die Rosenau oder gar auf den Steinenberg zu verfrachten. Ein Fass ohne Boden, wenn man bedenkt, dass auch die ganzen altehrwürdigen Gebäude zwischen Bahnhof – Karlstraße – Mühlstraße Wilhelmstraße nicht von Erschütterungsschäden und Elektromagnetischer Beeinträchtigung verschont bleiben werden. Im Workshop zur Mühlstraße – letzte Woche Freitag hieß es die Bahn „flattere“. Wo bitte bei welcher Bewertung rechnen Sie das ein?

In Gaggenau werden gerade ganz neuartige Oberleitungs-Elektro-LKWs getestet – Moderne Oberleitungsbusse, die auf Teilstrecken Oberleitungen nutzen können und mit Batterie betrieben werden, sind bereits erfolgreich im Einsatz. Das wäre eine Alternative: tangential über den Hagellocher-Weg auf den Schnerrenberg und auf WHO – das wäre eine preiswerte und ökologische Variante, um die Innenstadt zu entlasten statt auf Jahre hinaus mit Baumaßnahmen zu belasten. . Die jetzige Innenstadtstreckenführung ist aus unserer Sicht ein unökologisches und stadtzerstörerisches Projekt. Selbst wenn der Landrat noch ein paar Goldbarren drauflegt.

Ich komme aus Karlsruhe, da wird die Bahn aus guten Gründen und von der Bevölkerung gewoll,t gerade in den Untergrund verlegt, weil zu viele Unfälle passiert sind. Und ich empfehle, zum Thema Mühlstraße mal endlich ein sich begegnendes Pappmasche-Modell aufzustellen, das der Tübinger Bevölkerung wenigstens einen Nachmittag lang in Echtgröße – und nicht auf geschönten Fotomontagen – zeigt, dass da für zwei sich begegnende Bahnen und gleichzeitig Radfahrende, Busse, Anlieferer und Fußgänger:innen eine megagefährliche Situation fehl – geplant wird. Daran werden auch noch so ausgeklügelte Workshops mit teuren Beraterfirmen nichts ändern.

Mit zwei Traktoren und einem einfachen Pappmache-Modell wie beim Fasnetsumzug könnte man das schnell und unkompliziert darstellen. Aber eine solche Realitätsschau scheuen die Befürworter:innen hier im Rat wie der Teufel das Weihwasser.

Der Oberbürgermeister hat den Landrat überzeugt, dass der landkreis die kommunalen Restkosten beim Bau der Innenstadtstrecke übernimmt – ein Riesenzugeständnis – und dazu bekommt noch Tübingen den Löwenanteil der Betriebskosten erstattet. Wir bezahlen das mit Minderung des Einflusses auf das Gesamtprojekt – mit drei Sitzen im Regionalverband zukünftig weniger für die Stadt.
Das heißt weniger demokratische Teilhabe für die Stadt!

Die sogenannten mittelbaren Begleitkosten entlang der Innenstadtstrecke werden trotzdem bei der Stadt hängenbleiben und uns auf Jahrzehnte weiter beschäftigen, wenn reihenweise die Gebäude an der Fahrtstrecke beeinträchtigt sind.
Das was dazu tatsächlich in der Präambel der Vereinbarung mit dem Landrat steht, finde ich in der Vorlage 207a/2021 nicht. In Ihrer Zusammenfassung, Herr Oberbürgermeister, heißt es nur verharmlosend: städtebauliche und gestalterische Kosten verbleiben bei der Stadt. Ich möchte das aufklären, denn auch das heutige Tagblatt übergeht das Problem.

Ausdrücklich heißt es dazu in der Präambel der Vereinbarung
zwischen Stadt und Landkreis:

Unter den unmittelbaren Planungs- und Baukosten sind ausschließlich die Kosten zur Planung und Herstellung der für den eigentlichen RSB-Betrieb erforderlichen Schieneninfrastruktur sowie räumlich und sachlich damit direkt zusammenhängendebauliche Begleitmaßnahmen zu verstehen. Für die Verteilung sämtlicher für den Betrieb der RSB lediglich mittelbar erforderlicher Kosten sind im Einzelfall gesonderte Vereinbarungen zwischen Stadt und Landkreis Tübingen zu treffen.

jetzt kommt der entscheidende Satz😊
„Zu diesen mittelbaren Kosten zählen insbesondere auch die Kostenanteile für
Standortverlagerungen von Gebäuden aufgrund von, durch den RSB-Betrieb bedingte, Erschütterungen, elektromagnetischen Feldveränderungen oder ähnlichem. Das heißt so viel wie: das bleibt alles offen.

Ich habe im Verband den Eckpunkten der Finanzierung zugestimmt, weil diese das gesamte Projekt Regionalstadtbahn betreffen – aber mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass es eine Zustimmung der Bevölkerung zur Innenstadtstrecke gibt.

Die Regionalstadtbahn ist auch dann richtig und notwendig, wenn auf die Tübinger Innenstadtstrecke über die Neckarbrücke und durch die Mühlstraße verzichtet wird oder in naher Zukunft eine ganz andere Streckenführung zu den Kliniken und nach WHO und in Richtung Böblingen ins Auge gefasst würde.

Eine tangentiale Regio-Bahnstrecke etwa ab Westbahnhof über den Hagellocher Weg auf den Berg und über den Nordring auf WHO wäre verkehrstechnisch sinnvoller und würde die Innenstadt verschonen, wie auch heute im Leserbrief von Manuel Haus erwogen wird. Leider passt das nicht in die derzeitige Förderlogik einer standardisierten Bewertung, aber vielleicht wäre man da in fünf Jahren gescheiter, wenn die erwarteten vielen neuen Arbeitsplätze in den Höhenlagen tatsächlich kommen. Und der Charme von Tübingen bliebe erhalten!

Danke!

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