Gisela Kehrer-Bleicher, Kreisrätin der Tübinger Linken
Die Folgen des Lockdowns für Kinder und Jugendliche werden jetzt auf erschreckende Weise deutlich. Familien sind völlig überlastet. Spiel-, Sport- und Begegnungsmöglichkeiten mit anderen Kindern, die für eine gesunde soziale und psychische Entwicklung notwendig sind, fallen aus. Kinder leiden still und sind vermehrt von gesundheitlichen und psychischen Auswirkungen betroffen. Pädagogen, Kinderärztinnen und Psychologinnen schlagen Alarm; für Notfälle gibt es lange Wartelisten. Kinder und deren Schutz stehen bei politischen Entscheidungen in der Corona-Pandemie an letzter Stelle. Schülerinnen und Schüler sahen monatelang keine Schule mehr, mit ihren Eltern verzweifeln sie beim ständigen Hin und Her zwischen Online- und Wechselunterricht; dazu die Unsicherheit, wann sich was ändert. Vorschläge, die einen geregelten Schulbesuch ermöglichen, etwa durch Einbau von Luftfiltern in den Klassenzimmern, werden als „zu teuer“ abgelehnt.
Im neuen Armutsbericht stellt das Land fest, dass fast 20 Prozent und damit jedes 5. Kind, in Armut aufwächst. Mit der Pandemie hat sich dies verschärft. Kinder aus Familien, die über wenig Geld verfügen, in beengten Wohnverhältnissen leben, Freizeit-, Kultur- und Sportangebote seltener nutzen können, werden noch stärker abgehängt, also noch weniger Chancengleichheit! Das Sozialministerium hat nun Präventionsnetzwerke gegen Kinderarmut angekündigt. Nur 600 000 Euro werden dafür bereitgestellt – ein Bruchteil, der rund 30 Millionen Euro, die für die gescheiterte Bildungsplattform rausgeschmissen wurden. Für das Land ein billiges Feigenblatt, während die Kosten wirksamer Präventionsangebote wieder auf die Kommunen abgewälzt werden. Für uns gilt der Grundsatz „Kein Kind darf verloren gehen“, an den Ursachen von Kinderarmut ansetzen und Familien dauerhaft stärken: durch kostenfreie Kitas, Ausbau von Ganztagsschulen, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.
Eine bessere personelle Ausstattung der Jugendämter gehört dazu. Bei der Aufarbeitung zum Tübinger Fall von sexuellem Missbrauch und Kindeswohlgefährdung muss das berücksichtigt werden. Die Jugendämter sind so auszustatten, dass sie den Schutz von Kindern und Jugendlichen gewährleisten können. Zuständig ist da nicht nur die Kreisverwaltung. Über die Bereitstellung ausreichender Mittel und die Handlungsfähigkeit der Kommunen wird letztlich im Landtag und Bundestag entschieden.