Linke kritisiert Knotenvergabe der Geschichtskommission zu Straßennamen

DIE LINKE, Kreisverband Tübingen
Wählervereinigung Tübinger Linke e.V.

Clara Zetkin – Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht

Die Knotenverleihung der Geschichtskommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen an Clara Zetkin stellt die sozialdemokratische und später kommunistische Frauenrechtlerin und Antifaschistin auf eine Bewertungsstufe mit Nazis, mit Militaristen, Rassisten und Kolonialisten. Ihr wird im Abschlussbericht Demokratiefeindlichkeit vorgeworfen. Wir Linke widersprechen dieser Einstufung. Wir fordern die Kommission auf, diese Knoten-Empfehlung zu überdenken. Und wir fordern den Tübinger Gemeinderat auf, die stigmatisierende Gewichtung Zetkins nicht umzusetzen.

1. Ist Zetkin demokratiefeindlich?

Clara Zetkin war nicht nur führende Vertreterin der sozialdemokratischen Frauenbewegung, sondern insbesondere auch Vorkämpferin für die Einführung des Frauenwahlrechts als zentralem Ziel des von ihr begründeten und bis heute begangenen internationalen Frauentags. Clara Zetkin wird daher von der Landeszentrale für Politische Bildung zu Recht als Wegbereiterin der Demokratie im Südwesten angeführt.

Erkämpft wurde das Frauenwahlrecht 1919 durch die Novemberrevolution. Noch im Juli 1918 hatte die Regierung „unter der Zustimmung aller bürgerlichen Parteien das Frauenwahlrecht für unannehmbar erklärt“. So Clara Zetkin, die am 28.1.1919 als Abgeordnete der Unabhängigen Sozialdemokraten eine der ersten Reden einer Frau in einem deutschen Parlament hielt. An dieser Wahl hat sie gegen die Beschlusslage der KPD teilgenommen, zu der sie erst nach den Morden an Luxemburg und Liebknecht übertrat.
Wie es Ziel der Sozialdemokratie stets gewesen war, forderte sie eine soziale Demokratie.
Diese weitergehende Forderung wurde allerdings von Januar bis März 1919 in einem Blutbad unter linken Sozialdemokraten und Kommunisten erstickt. Es „legitimierte“ sich mit einem von Friedrich Ebert zu verantwortenden Schießbefehl. Auch nach Ebert ist eine Straße in Tübingen benannt.

Schon bald aber versuchten die antirepublikanischen Kräfte, wieder an die Macht zu kommen. Zetkin setzte sich beim Kapp-Putsch und nach dem Mord am Zentrumspolitiker Matthias Erzberger massiv für eine gemeinsame Verteidigung der Republik ein, für eine Verteidigung der Republik durch eine Einheitsfront der Arbeitenden (Rede im Reichstag am 1.10.1921).

Sie war eine der ersten, die die Gefahren des aufkommenden Faschismus analysierte (1923) und ein gemeinsames Vorgehen forderte, zuletzt in ihrer Rede zur Reichstagseröffnung 1932. Sicher haben Begriffe wie „proletarische Diktatur“ ein gemeinsames Vorgehen gegen den Faschismus erschwert, auch wenn bei Zetkin damit nicht die stalinistische Parteiherrschaft gemeint war. Auch in der Sozialdemokratie wurde dieser Begriff im Sinne von Marx und Kautsky lange Zeit verwendet.

2. Die Antistalinistin

Nach der Ermordung ihrer Freundin Rosa Luxemburg trat Clara Zetkin zur neugegründeten KPD über. Dort setzte sie sich in Opposition zu Anweisungen aus Moskau zunächst für eine eigenständige, demokratische Parteistruktur ein und wurde zeitweise „kaltgestellt“. Aus Rücksichtnahme auf die von ausländischen Interventionen und rechten Bürgerkriegsarmeen bedrohte Sowjetunion übte sie allerdings nur indirekt öffentliche Kritik an den Entwicklungen in der Sowjetunion, deren Existenz sie grundsätzlich unterstützte.

Sie verteidigte einerseits Einschränkungen der Demokratie als „Notwehr“ in einer „Übergangszeit“ (Zetkin, Um Rosa Luxemburgs Stellung zur russischen Revolution, 1922, S. 42), verwies aber andererseits auf die Gefahren der Einschränkungen demokratischer Rechte und betonte die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung, da sonst Notwehr zum sozialen Verbrechen würde (ebenda S. 43).

Sie warnte vor einer „Verrohung des öffentlichen Lebens“ und dem „Aufkommen einer selbstherrlichen Bürokratie“, das umschlagen könne in „Parteiherrschaft, Cliquenwirtschaft, Diktatorentum einzelner“ (ebenda S. 45). Sie glaubte aber, dass die Sowjetunion die Probleme überwinden könnte, auch durch das Heben des Bildungsniveaus oder die Stärkung der Rechte der Frauen, etwa im muslimisch geprägten Osten, für die sie sich in der Sowjetunion besonders einsetzte.

3. Der Prozess gegen die Sozialrevolutionäre

Sie ließ sich aber auch instrumentalisieren beim politischen Prozess gegen die Sozialrevolutionäre 1922. Der Vorsitzende der Zweiten Internationale, Émile Vandervelde, hielt zum Auftakt eine Rede, in der er die Angeklagten verteidigte und die Bolschewiki angriff. Zetkin wurde kurzfristig die Rolle zugewiesen, als Gegenpart für die Dritte Internationale zu sprechen. Aus Gesundheitsgründen konnte sie die vorgesehene Rede nicht halten und veröffentlichte sie als Broschüre (Zetkin, Wir klagen an, 1922, S. V).

Die Partei der Sozialrevolutionäre hatte unzweifelhaft terroristische Anschläge verübt, etwa auf den deutschen Botschafter und auf Lenin, der den Anschlag nur knapp überlebte. Und die Sozialrevolutionäre hatten im Bürgerkrieg die ausländische Intervention unterstützt.
„Ihre Schuld bedurfte kaum einer Bestätigung und beruhte nicht auf ‚Geständnissen‘“. „Was sie getan hatten, wusste alle Welt“, schrieb als Zeitzeugin Rosa Meyer-Leviné, deren Mann Eugen Leviné, ein früherer Sozialrevolutionär, als Vertreter der Räterepublik am 5. Juni 1919 in München wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und erschossen worden war.

Es ging im Prozess gegen die Sozialrevolutionäre nicht einfach um „ein gewaltsames Vorgehen der sowjetischen Machthaber gegen Oppositionelle“, wie die Kommission behauptet. Der deutsche KPD-Vorsitzende Ernst Meyer schrieb in seinem Tagebuch, dass er „unterstützt von Clara“ die Aufhebung des verhängten Todesurteils gefordert habe. Trotzki schlug vor, die Verurteilten als eine Art Geiseln in Haft zu behalten. Am 7.8. schrieb Meyer:
„Heute abend hat das ZK der KPR die überflüssige Geiselgeschichte der SR-Verurteilten fallen gelassen, was ich bereits gestern bekämpfte (neben Clara).“ (Rosa Meyer-Leviné, Im inneren Kreis, S. 42)

Das Urteil des Moskauer Revolutionsgerichts wurde nicht vollstreckt – anders als bei Eugen Leviné, dessen von einem Standgericht ausgesprochenes Todesurteil von der SPD-geführten bayrischen Landesregierung bestätigt wurde, und bei dem Reichspräsident Friedrich Ebert von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch machte. Es scheint daher doch sehr abwegig, Zetkin die „Beteiligung an einem Justizverbrechen“ vorzuwerfen.

Zetkins öffentliche Verteidigung einer Entwicklung, die zu einer zunehmenden Entrechtung der Menschen in der Sowjetunion führte, bedarf, wie im Grunde das Wirken aller Zeitgenossen, einer kritischen Auseinandersetzung. Erklären, nicht rechtfertigen, lässt sich ihre Sicht nur aus den tiefen Spuren, die „Vier Jahre politischer Mord“ (Emil Julius Gumbel) in Deutschland, beginnend mit dem Mord an ihrer Freundin Rosa Luxemburg, in Clara Zetkin hinterlassen hatte.

4. Zweierlei Maß?

Gisela Kehrer-Bleicher, Linke-Kreisrätin

Gisela Kehrer-Bleicher, Linke-Kreisrätin und Vorsitzende der Wählervereinigung Tübinger Linke e.V.

Zudem sehen wir es als kritikwürdig an, dass die Kommission unter die Geschichte des preußischen Militarismus und des deutschen Kolonialismus einen „Schlussstrich“ zieht.
Die Folgen der deutschen Kolonialherrschaft sind zwar bis heute sichtbar und gegenwärtig und deshalb auch Bestandteil der offiziellen Aufarbeitung. Die Bismarckstraße und die Wilhelmstraße werden dennoch nicht in Zweifel gezogen. Bei diesen „Zeitgenossen“ Zetkins sieht die Kommission keine „ethischen Verfehlungen“ und keine „Folgen eines ethisch problematischen Denkens oder Handelns bis in die Gegenwart hinein“.

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

Unsere Meinung ist: Die Kommission wendet ihre eigenen Kriterien selektiv an. Angesichts der rassistischen und ausbeuterischen Kolonialpolitik des Deutschen Reiches ab 1884, angesichts Bismarcks Judenfeindichkeit, angesichts seiner eisernen Gegnerschaft zur parlamentarischen Demokratie und angesichts der repressiven „Sozialistengesetze“ ist die vorgenommene Auswahl der Kommission kritisch zu hinterfragen.

Giesela Kehrer Bleicher für die Wählervereinigung Tübinger Linke e.V.
Gerlinde Strasdeit für DIE LINKE, Kreisverband Tübingen

Vorankündigung
Unser Diskussionsangebot. Für Dienstag, 14. März um 19 Uhr lädt die Linke-Gemeinderatsfraktion Tübingen in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Forum Linke Kommunalpolitik zu einer Veranstaltung zu diesem Thema ins Technische Rathaus ein. Die Veranstaltung und deren Ablauf machen wir gesondert bekannt.

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