Nicht alle waren Helden

angela-hauserSie sind nicht vergessen. Die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten begann mit der Gleichschaltung. Am 31. März 1933 wurden auch in Tübingen die frei gewählten Mitglieder des Gemeinderats aus ihren Ämtern vertrieben. Viele wurden Opfer von Unrecht und Verfolgung. Sie wurden überwacht, bedroht, in KZ-Haft verbracht oder erlitten berufliche Nachteile und Diskriminierung im Alltag. Zu ihnen zählten Hugo Benzinger (KPD), Dr. Simon Hayum (DDP), Josef Held (Zentrum), Otto Koch (SPD), Josef Schleicher (Zentrum), Paul Schwarz (Zentrum), Arno Vödisch (SPD).

So lautet der Text der Gedenktafel zu Ehren der Gemeinderäte, die 1933 vom Naziregime aus ihren Ämtern vertrieben wurden. Aber nur einer von ihnen ist danach in die NSDAP eingetreten. Stadtrat Otto Koch wurde zwar als SPD-Stadtrat entfernt, trat jedoch 1937 in die NSDAP ein und ist 1944 als NSDAP-Mitglied verstorben.

Von 1933 bis 1937 gab es bei der NSDAP einen Aufnahmestopp. Für die Kriegsvorbereitung war es aber wichtig, dass gerade frühere Gegner der NSDAP als Mitglieder geworben wurden. Die Gewinnung von Otto Koch, einem prominenten Gewerkschafter und einer Führungspersönlichkeit der Tübinger Arbeiterbewegung und der SPD, war deshalb ein großer Propagandaerfolg der NSDAP. Viele Stadträte waren nach der Ausgrenzung aus dem Gemeinderat Diskriminierungen und massiver Einschüchterungspolitik ausgesetzt. Sie verloren ihre Arbeitsstelle, ihre Kinder wurden in der Schule beleidigt, es gab sicherheitspolizeiliche Überwachungen mit Drohungen und Demütigungen bis hin zu Gewalt, Terror und KZ-Haft, Vertreibung und Todeslager. Dies schuf ein Klima permanenter Angst.

Die härteste Stufe der Verfolgung war die Inhaftierung und Verschleppung in ein Konzentrationslager. Das ist Otto Koch erspart geblieben. Sicherlich gab es nachvollziehbare Gründe für seine NSDAP-Mitgliedschaft, andererseits gab es auch Beispiele für Standhaftigkeit – wie Hugo Benzinger, der ein Jahr im KZ Heuberg inhaftiert war, und Arno Vödisch, der 1944 einen Monat in politischer Haft war, aber auch wie viele Andere. Die Tochter von Otto Koch äußerte sich zum NSDAP-Eintritt so: „Er war nicht kämpferisch genug, denn es waren nicht alle Helden.“

Deshalb sollte Otto Koch nicht auf der Ehrentafel verewigt werden. Oder es sollte, wie die Linke beantragte, zumindest zur SPD-Mitgliedschaft auch die NSDAP-Mitgliedschaft genannt werden.

Angela Hauser, Stadträtin der Linken im Tübinger Gemeinderat

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