Offener Brief an Landrat Walter

Sehr geehrter Herr Landrat Walter,

wie in der Sitzung des Sozial- und Kulturausschusses am 16.9. bereits angekündigt, möchten wir Sie bitten und aufrufen, darauf hinzuwirken, dass der Landkreis Tübingen und die im Kreis befindlichen Städte und Kommunen, die sich zum „Sicheren Hafen“ erklärt haben, ein deutliches Zeichen der Aufnahmebereitschaft senden.

Wir schlagen vor, dass der Landkreis zusammen mit den Städten Tübingen und Rottenburg signalisiert, dass die Bereitschaft besteht und die Kapazität aufgebaut werden kann, um kurzfristig bis zu 1.000 Menschen von den griechischen Inseln im Landkreis aufzunehmen. Dies ist aus unserer Sicht eine realistische Zahl.

Wir sind der Meinung, dass das am Dienstag von der Bundesregierung verkündete Vorhaben, ca. 1.500 Flüchtlinge aus Griechenland zu übernehmen, keine Lösung für die Notsituation und die humanitäre Katastrophe auf Lesbos und den anderen griechischen Inseln ist. Der Bundesinnenminister möchte offensichtlich ein „Weiter so“ und das bedeutet, dass die „CoronaGefängnisse“ auf den griechischen Inseln fortgesetzt werden und weitere humanitäre Katastrophen vorprogrammiert sind. Aus unserer Sicht ist längst überfällig, dass die in Europa geltenden Flüchtlings- und Menschenrechte wieder Vorrang erhalten vor einer Politik der Flüchtlingsabwehr.

Das müsste dann auch bedeuten, dass alle diese „Hotspots“ auf den griechischen Inseln und an den EU-Außengrenzen aufgelöst werden und die Menschen evakuiert und in der Europäischen Union verteilt werden. Doch eine solche Politik will Seehofer verhindern mit dem Vorwand, dass es
eine „europäische Lösung“ brauche.

Wir sagen dagegen: Es wäre bereits einfach machbar, die in den griechischen Hotspots befindlichen Flüchtlinge auf die 174 Kommunen, Städte und Landkreise zu verteilen, die sich zum „Sicheren Hafen“ erklärt haben. Grob veranschlagt: Bei 40.000 Personen würde dies bedeuten, dass diese Kommunen im Durchschnitt ca. 250 Geflüchtete aufnehmen müssten. Das bedeutet: Bereits durch eine solche Maßnahme könnte Deutschland die aktuelle „Flüchtlingskrise“ in Griechenland alleine lösen und mit gutem Beispiel vorangehen. Mit ein wenig Diplomatie würde es aber auch gelingen, die Zahl der in Deutschland aufzunehmenden Flüchtlinge zu reduzieren. Auch in anderen EU-Ländern gibt es aufnahmebereite Kommunen, entsprechende Erklärungen existieren längst.

Der Bundesinnenminister muss aus unserer Sicht endlich seine Blockadehaltung aufgeben und den demokratischen Willen der zahlreichen Kommunen akzeptieren oder er muss zurücktreten. Wir möchten Sie deswegen auch auffordern, auf der Basis der Entscheidung des Kreistags vom 27. Mai 2020, sich für eine rechtliche Regelung einzusetzen, die eine Aufnahme von Flüchtlingen auf Landesebene ohne Zustimmung des Bundesinnenministers möglich macht.

Die Lage der Menschen in Moria nach dem Brand ist nicht nur angesichts der drohenden CoronaDurchseuchung so schlimm und teilweise lebensbedrohlich, dass sofortiges Handeln erforderlich ist und jetzt nicht zur „Tagesordnung“ übergegangen werden darf. Im Juni 2019 hat der Rottenburger OB Stephan Neher angekündigt, dass er im Bedarfsfall auch Busse losschicken würde, um Geflüchtete abzuholen. Aus unserer Sicht ist hierfür jetzt und sofort der richtige Zeitpunkt.

Zum Abschluss wollen wir Sie noch auffordern, den bei der Kreistagssitzung am 27.5.2020 erfolgten Beschluss, dass sich der Landkreis zum „Sicheren Hafen“ erklärt und dem „Bündnis Städte Sicherer Häfen“ beitritt, bei der Landeshauptstadt Potsdam mitzuteilen (siehe auch die aktuelle Erklärung dieses Bündnisses vom 16.9.2020) und auch in den Medien des Landkreises (z.B. Homepage) zu veröffentlichen.

Mit freundlichen Grüßen
Margrit Paal
Gisela Kehrer-Bleicher
Andreas Linder
Dr. Emanuel Peter
Bernhard Strasdeit

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