Fluchtursachen bekämpfen, nicht Flüchtlinge

Wir dokumentieren den Redebeitrag unseres Kreisrats Andreas Linder für move on / PlanB bei der STOP GEAS Demonstration in Tübingen am 03.02.2024.

Andreas-Linder

Andreas Linder, Linke-Kreisrat

Zunächst mal großen Respekt und vielen Dank an alle, die diese Veranstaltung heute organisiert haben und an alle, die gekommen sind. Nur mit Bewegung und Druck von unten werden wir Veränderungen erreichen, die wir wollen!

„Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“
So steht es im Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO. Dieser Satz gilt seit 75 Jahren und er gilt für alle Staaten, die sich an das internationale Rechtssystem halten. Und so ähnlich steht das Menschenrecht auf Asyl in der Genfer Flüchtlingskonvention und in unserem deutschen Grundgesetz. Aber vielleicht nicht mehr lange. Denn die Europäische Union und mit ihr die herrschenden politischen Parteien in diesem Land wollen dieses Menschenrecht über Bord werfen. Und deswegen haben auch wir uns heute versammelt, um gegen diese Entwicklung zu demonstrieren.

Wenn die aktuelle Reform des sogenannten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems in die Praxis umgesetzt wird, wird all das legalisiert sein, was an Hässlichkeiten und Menschenrechtsverletzungen schon seit Jahren an der EU-Grenze geschieht. Und nicht nur das. Mit den dann legalisierten Pushbacks an der Außengrenze, mit den standardmäßigen Haftlagern für diejenigen, die doch ankommen und mit der Rückschiebung in sogenannte sichere Drittstaaten wie die Türkei oder Ägypten oder Tunesien wird das Menschenrecht auf Asyl faktisch in die Tonne getreten werden.

Warum wird so eine Politik betrieben und warum gibt es dagegen so wenig Protest und Widerstand? Ich möchte dafür hier eine These wagen: Der Abbau des Menschenrechts auf Asyl ist ein Produkt der von Olaf Scholz ausgerufenen sogenannten „Zeitenwende“. Mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine sind die EU und auch Deutschland selbst Kriegspartei geworden. Und ich mache jetzt hier mal den Putin-Versteher: Ein zentrales Ziel des russischen Regimes in diesem Krieg ist, den Westen zu destabilisieren. Und das haben sie schon erreicht. Der Westen ist drauf und dran, seine eigenen Grundsätze und Grundwerte über Bord zu werfen und dabei ist das Asylrecht vielleicht nur der Anfang. Ganz eindeutig ist allerdings, dass die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von Seiten der Politik und des medialen Mainstreams als willkommen erachtet wurden und man alles dafür getan hat, es einer Million Kriegsflüchtlingen möglichst einfach zu machen. Auf der anderen Seite ist man dazu übergegangen zu sagen, dass wir von allen anderen Flüchtlingen dieser Welt jetzt nichts mehr wissen wollen. Und das ist eine Schande!

Im Jahr 2015 kam aus dem Mund von Angela Merkel noch der berühmte Satz „Wir schaffen das“. Im Jahr 2023 hieß es dann nur noch „Wir wollen das nicht mehr schaffen“. Insbesondere das Leitungspersonal der CDU hat eine ganz massive Entsolidarisierungskampagne betrieben. Der zentrale Hebel oder Vorwand dieser Kampagne war, dass behauptet wurde, dass die Kommunen mit der Aufnahme und Integration der Geflüchteten überlastet seien – und gemeint waren nicht die Geflüchteten aus der Ukraine, sondern die anderen.
Aber statt praktische Maßnahmen zu ergreifen, die die Kommunen wirklich entlasten, wurde der Teufel an die Wand gemalt. Das Heil wurde in der Bekämpfung der illegalen Migration und der weiteren Abschottung der EU-Grenzen gesucht. Mit Inhalten und einer Rhetorik, die sonst nur von der AfD zu hören sind, trieben Scharfmacher der CDU die Ampelregierung vor sich her und sie waren damit erfolgreich. SPD und Ampel stimmten in den Chor ein, dass die Flüchtlinge das zentrale Problem seien, sie gaben ihre verbliebenen Widerstände gegen die GEAS-Reform auf, sie versprachen das „Abschieben im großen Stil“ und führten das Rückführungsverbesserungsgesetz ein, eine Bezeichnung, die sich George Orwell nicht besser hätte ausdenken können. Zu behaupten, eine Brandmauer gegen die AfD zu betreiben, aber eine Politik machen, die die Positionen dieser Rechtspopulisten weitgehend übernimmt – wie verlogen ist das denn?

Ich glaube, wir finden es alle gut und wichtig, dass in den letzten Wochen so zahlreich gegen die extreme Rechte und die Neofaschisten in diesem Land demonstriert wird. Es ist gut und dringend notwendig, dass viele Menschen gegen die unfassbar hässlichen, menschenverachtenden und demokratie- und verfassungsfeindlichen Ziele von Neofaschisten und deren Deportationsphantasien auf die Straße gehen. Der alleinige Fokus gegen den Rechtsextremismus ist aus meiner Sicht aber zu kurz gegriffen. Denn der Rechtsruck, von dem jetzt überall die Rede ist, ging vor allem im vergangenen Jahr weniger von den ganz Rechten aus, sondern er kam aus der Mitte der Gesellschaft, von den Menschen und Parteien, die dieses Land führen und zum Beispiel behaupten, dass sie etwa mit der Zustimmung zum GEAS einen Teil zur Lösung beitragen würden. Aber das GEAS und die ganzen anderen Verschärfungen gegenüber schutzsuchenden Menschen sind nicht ein Teil einer Lösung, sondern sie sind ein Teil des Problems. Sie sind zentrale Merkmale des Rechtsrucks.

Unsere Herrschenden in diesem Land, egal ob CDU oder SPD oder Ampelparteien, haben in der Flüchtlingspolitik den Kompass verloren. Was hier gesagt, gefordert und gemacht wird, geht komplett in die falsche Richtung. Wenn die Menschenrechte, wie sie auch im deutschen Grundgesetz stehen, nicht mehr der Kompass sind, an dem sich Politik und menschlicher Umgang orientieren, dann haben wir wirklich eine Krise in diesem Land und dann sind wir Putin schon auf den Leim gegangen. Wenn etwa einerseits in einem großspurigen neuen Grundsatzprogramm eine deutsche Leitkultur eingefordert wird, die angeblich auf den Grundwerten des deutschen Grundgesetzes basiert, auf der anderen Seite aber selbst Menschenrechte verhöhnt werden und deren Abschaffung gefordert wird, ist es mit der Glaubwürdigkeit unserer herrschenden Parteien vorbei.

Abwehren, Ablehnen, Abschieben. Das sind die berühmten drei A von inhumaner Flüchtlingspolitik. Leider glaubt der Großteil der Herrschenden in diesem Land, dass es genau so gemacht werden müsse und will dies der Bevölkerung Glauben machen. Selbst bei den kürzlichen Bauernprotesten fiel Christian Lindner als Rechtfertigung für die Regierungspolitik nur ein, dass man doch jetzt die illegale Migration bekämpfe und das auch gut für die Bauern sei. Wenn das kein blanker Rassismus ist.

Es braucht, liebe Leute, eine Flüchtlingspolitik, in deren Mittelpunkt die Bekämpfung von Fluchtursachen steht und nicht die Bekämpfung von Flüchtlingen.
Genauso wie in der Klimapolitik, wo es darum geht, dass die Ursachen angegangen werden und nicht bloß mehr E-Autos gebaut werden. Von einer guten Flüchtlingspolitik sind wir leider wahrscheinlich weiter denn je entfernt. Aber es lohnt sich weiterhin, dass wir uns alle nach unseren Möglichkeiten dafür einsetzen.

Deswegen zum Abschluss noch eine Anmerkung zu dem Ort, an dem wir uns gerade befinden und zu der Arbeit, die wir bei PlanB machen.
Wir stehen hier vor dem sogenannten Bürgeramt. Zu diesem Bürgeramt gehört die Ausländerbehörde, in der immer noch tagtäglich sortiert wird zwischen denen, die als deutsch angesehen werden und denen, die nicht dazugehören. Bei der Ausländerbehörde geht es schnell, wenn die Behörde selbst etwas will oder wenn es um Aufenthaltsbeendigungen geht. Unfassbar langsam und völlig überbürokratisiert ist diese Behörde aber bei allen Vorgängen, von der einfachen Verlängerung bestehender Ausweise bis zur Antragstellung auf Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnisse. Da kann es von der Antragstellung bis zur Erteilung schon mal zwei Jahre gehen und in dieser Zeit sind den Betroffenen natürlich die entsprechenden Rechte verwehrt. Im AK Ausländerbehörde schauen aber die Asyl- und Migrationsberatungsstellen der Ausländerbehörde auf die Finger und setzen sich für Verbesserungen ein.

Wir finden alle Initiativen gut, die sich an der EU-Außengrenze für faire Asylverfahren, für die Verbesserung der Lebenssituation von Geflüchteten in Lagern, gegen Gewalt und Pushbacks einsetzen. Wir bei PlanB tun hier vor Ort, was wir können, damit die hier angekommenen Geflüchteten die Rechte erhalten können, die ihnen zustehen. Dafür beraten und unterstützen wir viele Menschen im Asylverfahren, dafür unterstützen wir Geflüchtete, wenn ihr Asylantrag abgelehnt wurde, indem wir ihnen helfen, dass sie trotzdem arbeiten dürfen und dass sie dann irgendwann einen Antrag auf ein Bleiberecht stellen können. Wir rechnen damit, dass diese Arbeit in der kommenden Zeit noch schwieriger werden wird. Das neue Abschiebegesetz wird dazu führen, dass es mehr Abschiebungen bzw. Abschiebeversuche geben wird, allein schon wegen den vielen Dublin-Verfahren bei denen Schutzbedürftige einfach bloß in der EU hin- und hergeschoben werden. Wir sind ein kleines Team mit fünf, sechs sehr aktiven Menschen und einigen ehrenamtlich Engagierten. Und ich sags mal so: Es gab schon mal mehr Menschen, die sich solidarisch und praktisch in unabhängigen Initiativen und Projekten für Geflüchtete eingesetzt haben. Wir sind also offen und dankbar für alle, die sich solidarisch und kontinuierlich in der sogenannten Einzelfallhilfe engagieren wollen. Das Politik-machen bei Demos ist wichtig, wir freuen uns sehr, dass es dieses neue Bündnis hier gibt und die vielen Leute, die den Protest gegen die herrschende Flüchtlingspolitik stark machen. Als PlanB freuen wir uns genauso über Menschen, die bei uns in der praktischen Flüchtlingsarbeit mitmachen wollen.

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