Antragsbegründung zu „Kein Knoten für Clara Zetkin“

Redebeitrag von Gerlinde Strasdeit, der Vorsitzenden der Gemeinderats-Fraktion der Tübinger Linken am Donnerstag, 26. Oktober 2023 im Gemeinderat:

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

Gerlinde Strasdeit, Linke-Fraktion im Gemeinderat

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben ein heilloses Durcheinander bei den Knoten zu Straßennamen. Erst waren die Knoten gedacht als vorübergehende (!) Markierung von solchen Straßennamen, die geändert werden sollen. Dann wurden von der wissenschaftlichen Kommission mit Zustimmung der Verwaltung plötzlich Dauerknoten vergeben für solche Persönlichkeiten, die zwar unter der Rubrik „Demokratiefeindlichkeit und Justizverbrechen“ geführt wurden, deren Straßenname aber nicht geändert werden sollen. Dann wieder hieß es, die Knoten seien keine negative Markierung, sondern sollen lediglich historisch „ambivalente“ Persönlichkeiten bezeichnen. Und das könnten eigentlich viele oder alle sein. Unterm Strich bleiben jetzt wahrscheinlich Knoten für solche Nazis und Rassisten, deren Straßenumbenennung nicht durchsetzbar war.

Der aufklärerische Charakter von Knoten, der auch uns Linken grundsätzlich sympathisch erscheint, ist damit irgendwie verloren gegangen – ja inzwischen ist die Idee leider diskreditiert. Wir stimmen deshalb nicht gegen die Knotenidee, aber man muss an die Idee einen kritischen Knoten machen, zumal wir das Konzept im Kultur-Bildung- und Sozialausschuss oder im Gemeinderat noch nie entschieden haben.

Clara Zetkin soll nach dem Vorschlag der Verwaltung ein Knoten verpasst werden, weil sie in die Verbrecherliste der wissenschaftlichen Kommission aufgenommen wurde, obwohl die Beschuldigungen gegen sie in zwei Veranstaltungen widerlegt wurden.

Ich betone: wir Linken sind nicht (!) gegen eine kritische Würdigung von Clara Zetkin. Wir verlangen von niemandem, ihre politischen Positionen zu teilen.
Aber wir protestieren dagegen, sie auf eine Stufe mit Nazis und Rassisten zu heben. Und genau das geschah. Das geschah, indem die Kommission in ihrem Bericht den Namen Zetkin in einer Tabelle unter Zitat „Demokratiefeindlichkeit und Justizverbrechen“ einordnete. Und das setzte sich fort als die Verwaltung kundtat, dass sie alle Vorschläge der Kommission teilt.

Ich selbst habe mit dem Leiter der Kommission Professor Grossmann mehrmals gesprochen. Ich bin keine Historikerin. Wir haben als Gemeinderatsfraktion mit Herrn Prof. Großmann und Herrn Prof. Grewe eine sehr gut besuchte Podiumsdiskussion gemacht und wir haben mit Herrn Großmann anschließend noch lange im Museum zusammengesessen. Ich lasse mir von niemanden vorwerfen wir hätten diese Kommission unflätig behandelt.
Für uns Linke gilt das nicht und für das Aktionsbündnis „kein Knoten für Zetkin“ gilt das auch nicht. Unterstellen Sie das wem sie wollen – aber bitte nicht uns.

Ich frage mich, warum wurden andere Straßennamen sehr achtenswerter Persönlichkeiten – wie zum Beispiel Graf Stauffenberg, also mit auch sehr widersprüchlichen Biographien – Stichwort Demokratiefeindlichkeit – nicht mit Knoten versehen?

Ich frage mich weiter, warum hat der Hitler-Attentäter von 1944, Graf Stauffenberg in Tübingen einen Straßennamen? – der Hitler-Attentäter von 1938, Georg Elser, dagegen nicht? Weil der eine vor seiner Exekution Nazi war? Und der andere vorher Kommunist? Beide, auch Georg Elser sind für ihren Todesmut, gegen Hitler vorzugehen, zu ehren.

Die Landeszentrale für Politische Bildung bezeichnet Clara Zetkin als „Wegbereiterin der Demokratie im Südwesten“. Die Sozialdemokratin und spätere Kommunistin war Vorkämpferin für das Frauenwahlrecht. An der Wahl zur Nationalversammlung in Weimar 1919 nahm sie noch als Abgeordnete der USPD teil. Sie war im Reichstag eine der ersten Parlamentarierinnen in Deutschland. In die KPD eingetreten ist sie nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch Soldaten der Reichswehr. Gustav Noske und Friedrich Ebert waren für diese Morde politisch mit verantwortlich. Niemand kam bislang auf die Idee, die Tübinger Ebertstraße deshalb mit einem Knoten zu versehen.

Kaiser Wilhelm II bezeichnete Zetkin einmal als die „gefährlichste Hexe Deutschlands“. Anfang 1919 floh Clara Zetkin nach Morddrohungen nationalistischer Studenten von Stuttgart nach Tübingen und wurde in der Neckargasse 4a versteckt. Koordiniert wurde die Rettungsaktion von dem Studenten und späteren Mitbegründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (Adorno, Horkheimer) Felix Weil. Im Reichstag engagierte sie sich u.a. als Unterzeichnerin von interfraktionellen Anträgen. Beim Kappputsch und nach der Ermordung von Mathias Erzberger im Schwarzwald, setzte sie sich immer wieder für eine Einheitsfront gegen die Nazis ein. Ebenso in ihrer letzten Reichstagsrede als Alterspräsidentin im Jahr 1932, die sie als Botschaft gegen die Machtergreifung der Nationalsozialisten verstand. Diese Rede hielt sie im Alter von 89 Jahren nach Morddrohungen und zu einem Zeitpunkt als die rechte Seite des Reichstagsplenums bereits voll besetzt war mit Braunhemden.

Der Begriff „proletarische Diktatur“, den sie verwendet hat, widerspricht unserem heutigen Verständnis von demokratischem Sozialismus. Damals war der Begriff jedoch in der Arbeiterbewegung im Marxschen Sinne üblich, stand lange auch im SPD-Programm und war nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach „Einparteienherrschaft“ und noch nicht diskreditiert durch die stalinistische Gewaltherrschaft. In der KPD hatte Clara Zetkin mehrmals die Parteilinie kritisiert. Ihre „Mitwirkung“ an einem Prozess im Jahr 1922 in Moskau wird in der Vorlage verzerrt dargestellt. Der Prozess fand statt in der Endphase des Bürgerkrieges in Russland, nach Ermordung des deutschen Botschafters in Moskau und nach einem Attentat auf Lenin. Dies rechtfertigt nicht, aber erklärt, dass der Prozess nicht nach heutigen rechtsstaatlichen Maßstäben stattfand. Richtig ist, dass Zetkin in der Auseinandersetzung mit der II. Internationale diesen Prozess publizistisch gerechtfertigt hat. Belegt ist aber auch, dass sie sich zusammen mit anderen mehrfach gegen die Todesurteile engagiert hat, dass sie bei Lenin und Trotzki intervenierte und diese dann nicht vollstreckt wurden. Clara Zetkin war nie an Verbrechen beteiligt.

 

Warum scheute man sich, die Bismarckstraße mit einem Knoten zu versehen?

Die Bismarckstraße ist eine der längsten in Tübingen. An Bismarcks Händen klebt Blut. Darin unterscheidet er sich von seiner Zeitgenossin und politischen Gegnerin Clara Zetkin. Die Liste der Demokratiefeindlichkeit ist lang: Niederschlagung der demokratischen Revolution, Verteidigung der Fürstenherrschaft, verantwortlich für kolonialistische Raubkriege und Verbrechen, Kanzler in Tradition des preußischen Militarismus, Eroberungskriege u.a. gegen Frankreich, Judenfeindlichkeit, Ablehnung des Parlamentarismus, Sozialistengesetze. Noch heute erheben Bismarck-Erben Rechtsansprüche auf Raubgüter aus der deutschen Kolonialzeit.

 

Wenn die Stadt Tübingen einerseits Clara Zetkin in die Nähe von Nazi-Verbrechen rückt und andererseits Bismarck historisch „freispricht“, wäre das mit zweierlei Maß gemessen und insofern auch ein politischer Skandal.

Das war die Begründung für unseren Antrag „kein Knoten für Zetkin“. Wenn diesem nicht entsprochen wird, werden wir gleich danach einen kritischen Knoten für Bismarck fordern oder später: eine Umbenennung der Bismarckstraße beantragen.

 

Ergebnis:
Gegen den Willen der Stadtverwaltung verhinderte der Tübinger Gemeinderat am 26. Oktober 2023 einen stigmatisierenden Knoten am Straßennamen der „roten Feministin“ Clara Zetkin. Stattdessen wurde (auf Antrag der Fraktion „Die Fraktion„, die unseren Antrag aufgegriffen hat) mit knapper Mehrheit ein kritischer Knoten für die Bismarckstraße beschlossen.

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