Dr. Emanuel Peter, Linke-Kreisrat

Rede von Emanuel Peter, Rottenburger Gemeinde- und Kreisrat und Mitglied des Regionalverbandes Neckar-Alb zum Innovationspark Künstliche Intelligenz auf der Kundgebung von NoCybervalley Tübingen am 22. März 2021

Bundesweit ist Tübingen bekannt für den Slogan „Tübingen macht blau“. Dieser Slogan von 2008 gewinnt seit drei Wochen eine ganz neue Bedeutung. Denn das Cyber Valley auf der Oberen Viehweide dient Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut (CDU) als Blaupause für einen landesweiten „Innovationspark Künstliche Intelligenz“ im Dreieck Neckar-Alb – Karlsruhe – Stuttgart oder im Dreieck Freiburg – Ulm – Schwäbisch-Hall. Sie verspricht nichts weniger als eine „historische Transformation“ im Ländle mit den Worten: „Damit wollen wir die gesamte Wertschöpfungskette bei KI – von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung, Entwicklung bis hin zur Produktion von Gütern und der Erstellung von Dienstleistungen“ über alle Branchen hinweg miteinander vernetzen. Tübingen soll als landesweites Modell für ein Öko-System Künstliche Intelligenz mit internationaler Strahlkraft dienen.

Gemeint ist NICHT eine Umkehr im katastrophalen Verbrauch natürlicher Ressourcen wie Böden, Wasser und Wälder, um die Klimakatastrophe zu bekämpfen. Gemeint ist NICHT eine Umkehr im Wohnungsbau hin zu bezahlbaren Mieten oder die Einstellung von mehr Personal in Kitas, in Krankenhäusern und in der Pflege. All diese Maßnahmen wären tatsächlich notwendig, damit wir gestärkt aus der Krise kommen. Im Gegenteil! Gestützt auf eine Studie der Fraunhofer-Allianz Big Data will die grün-schwarze Landesregierung Künstliche Intelligenz einsetzen, um die Produktivität in der Industrie, im Gesundheitswesen und weiteren Bereichen massiv zu steigern. Im Ländle soll ein „möglichst großer Teil des globalen Wertschöpfungspotentials realisiert“ werden. Der auf viele Standorte verteilte Innovationspark soll 8.000 neue Fachkräfte erhalten, die jährlich 1,9 Milliarden Euro erzielen.

Für diese Heilsversprechen werden im zweiten Nachtragshaushalt des Landes öffentliche Steuergelder in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bereitgestellt, Forschung und Wissenschaft werden den Marktinteressen der Konzerne unterworfen. Zum Beispiel schwärmt das Fraunhofer-Institut von Servicerobotern für die Pflege mit den Worten, dass damit medizinisches Personal ersetzt werden kann, indem deren Produktivität gesteigert, die Fehlerquote reduziert, die Medizinkosten gesenkt und der klinische Aufenthalt verkürzt werden. Das Marktpotenzial dieser Roboter für Pflege und Automatisierung würde um das Fünffache wachsen!

Bei der Industrierobotern nennt Fraunhofer die modulare Montage im ungarischen Audi-Motorenwerk Györ, dadurch würde die Produktivität um mindestens 20 Prozent steigen. Ohnehin haben Bosch, Audi und Continental weltweit die meisten Patente für autonomes Fahren angemeldet. Diese wenigen Beispiele zeigen die tatsächlichen Absichten der größten Innovationsförderung der Landesregierung seit Jahrzehnten.

Doch damit nicht genug, denn es geht der grün-schwarzen Landesregierung um eine „historische Transformation“ unserer gesamten Gesellschaft. In der Wirtschaft heißt sie Industrie 4.0, in der Landwirtschaft Smart Farming, im öffentlichen Leben wird nach chinesischem Vorbild die Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung durch Gesichtserkennung wie am Hauptbahnhof Mannheim massiv ausgebaut und mit Smart City der Verkehr gelenkt. Längst werden durch Big Data unsere Einkaufswünsche registriert, kontrolliert und gelenkt. Mit Smart Home schaltet Alexa nicht nur den Backofen an und aus, sondern hört zugleich im Wohnzimmer heimlich alle Gespräche ab, die dann in Polen ausgewertet werden.

Kein Wunder, dass bei dieser Umwälzung unserer Gesellschaft kritische Fragen und Meinungen so stören, wie der Teufel das Weihwassser fürchtet. Um die größte Innovation seit Bestehen des Landes innerhalb von sieben Monaten durchzupeitschen, setzte Hoffmeister-Kraut die öffentlichen Gremien unter einen massivem Zeitdruck. Ende November 2020 gab sie in einer virtuellen Konferenz ausgewählten Oberbürgermeistern, Vertretern von Konzernen und Universitäten den offiziellen Startschuss für die Bewerbung bekannt. Um einen üblen Konkurrenzkampf zwischen den Regionen anzuheizen, wurde die erste Stufe des Wettbewerbs bereits Ende Januar beendet, zwei Tage zuvor ließ OB Palmer im Tübinger Gemeinderat darüber abstimmen. Der Regionalverband Neckar-Alb, dem die drei Landkreise Tübingen, Reutlingen und Zollern-Alb angehören, musste extra auf einer Sondersitzung am 2. März erst in einer halbstündigen nicht-öffentlichen Sitzung und dann in einer öffentlichen Sitzung über seine Teilnahme am Wettbewerb abstimmen.

Der Antrag der Linken auf Vertagung, um eine umfassende Diskussion des gesamten Projekts in der Öffentlichkeit zu ermöglichen, wurde von Grünen, SPD, CDU und Freien Wählern abgelehnt. Wer will denn schon darüber nachdenken, dass die erwarteten 8.000 Fachkräfte beim Innovationspark auch Wohnungen brauchen und sie den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in unserer Region massiv verschärfen werden. Wer will darüber nachdenken, dass die ganzen Datenströme und der geplante Quantencomputer einen extremen Stromverbrauch haben. Und wer will nachdenken, dass die Steuergelder der Landesregierung plus die Gelder der Städte und Gemeinden für dieses Projekt jemals wieder in öffentliche Kassen zurückfließen werden. Im Nebel der täglichen Corona-Inzidenzzahlen sollte alles möglichst unbemerkt und undiskutiert bleiben. Alles ist „historisch“ und schön verpackt im blauen Einwickelpapier „Ethikbeirat“ und „Nachhaltigkeit“. Diese Versprechen werden angesichts der künftigen Milliardengewinne zu bloßen Schönwetter-Floskeln, um uns zu täuschen, was die wirklichen Interessen mit diesem Innovationspark sind. Ein böses Omen für die nächste Landesregierung, egal welche Farbkombination sie haben wird.

Anstelle eines blauäugigen Hauruck-Verfahrens und einer Kriminalisierung des Protestes fordere ich eine breite öffentliche Diskussion, eine Zivilklausel gegen militärische Forschung in den Verträgen und demokratische Kontrollen bei allen Entscheidungen. Deshalb ist der Widerstand gegen das Cyber-Valley in Tübingen so wichtig und muss im gesamten Land bekannt gemacht werden!

Ich danke euch für eure Aufmerksamkeit und grüße euch mit dem Dreiklang:

Gesund bleiben – oben bleiben – widerständig bleiben!