„Solange Hans Gmelin Ehrenbürger von Tübingen ist, bleibt die Scheefstraßen-Umbenennung ein inkonsequenter Akt“

Gemeinderat, 18.12.2014, Stellungnahme von Gerlinde Strasdeit für die LINKE-Fraktion

Gerlinde StrasdeitVorab zur Klarstellung: Wir sind für die Namensumbenennung der Scheefstraße in Fritz Bauer-Straße. Die Biographie von Fritz Bauer ist überzeugend: SPD-Mitglied, Atheist mit jüdischer Herkunft, von den Nazis aus dem Staatsdienst entlassen und inhaftiert, als Emigrant im antifaschistischen Widerstand. Nach 1945 setze er sich ein für die Rehabilitierung der Widerstandskämpfer des 20. Juli – und – er engagierte sich als Staatsanwalt für die Ermittlungen gegen die SS-Verantwortlichen der Ausschwitzverbrechen. Ohne ihn hätte es die Frankfurter Ausschwitzprozesse nicht geben können.

In der bundesdeutschen Nachkriegsjustiz der 50er und 60er Jahre war er damals ein einsamer Rufer. Aber: wie würde Fritz Bauer heute damit umgehen, dass nach ihm eine Straße umbenannt, Scheef gestrichen wird, aber gleichzeitig das Thema Ehrenbürgerschaft von Hans Gmelin und dessen Rolle bei den Verbrechen des Nationalsozialismus in der Slowakei auf die lange Bank geschoben wird. Die wissenschaftliche Aufarbeitung ist auf Nachfrage im Ausschuss voraussichtlich im Sommer 2015 beendet.

Scheef war im Vergleich zu Gmelin ein kleines Licht im nationalsozialistischen Räderwerk. Deshalb hätte die Entscheidung im breiten Konsens, in einem Gesamtpaket des Gemeinderats, getroffen werden müssen. Das haben wir immer gesagt. AL/Grüne und SPD haben das verhindert und die Aberkennung der Scheef- Ehrenbürgerschaft und die Straßenumbenennung vorab durchgesetzt.
Ich möchte darauf verweisen, dass Herr Oberbürgermeister Palmer lange Zeit ebenfalls unsere Auffassung vertrat: Zitat: „Die Abstimmung komme heute zu früh“ – nachzulesen in der Niederschrift vom 17.6.2013. Und weiter: Herr Palmer plädierte dafür dass es besser gewesen wäre, die Erforschung von Hans Gmelin abzuschließen und dann erst über alle zur Diskussion stehenden Ehrenbürgerschaften zu entschieden. Er bleibe bei seiner Auffassung, dass es richtig wäre, alles gemeinsam gründlich zu verhandeln. Auch im Fall von Adolf Scheef sei er nicht der Überzeugung, dass das Urteil auf soliden Füßen stehe. Deshalb seine Enthaltung bei der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft von Scheef.

Aus dem gleichen Grund werden wir uns bei der Zurückweisung der Widersprüche heute auch enthalten.

Wir Linke haben seit 2004 in Anträgen versucht eine Diskussion und eine Entscheidung über den Umgang zur NS Verstrickung der Tübinger Ehrenbürger in Gang zu bekommen. Das wurde über Jahre in Kommissionen vertagt. Jetzt wird dann vor dem Sigmaringer Verwaltungsgericht verhandelt und die Beurteilung Gmelins wird auch dort eine Rolle spielen. Das ist eine offene Wunde. Straßenumbenennung eines kleinen Nazis wird vorgenommen und gleichzeitig die Aberkennung der Ehrenbürgerschaft eines großen Nazis weiter rausgeschoben.

Uns sagt man, wir sollen trennen. Ja, trennen kann man die Einzelbewertung von Scheef und Gmelin – aber trennen kann man nicht den politischen Gesamtvorgang hier im Gemeinderat. Beide waren Oberbürgermeister von Tübingen und beide hatten wichtige Funktionen im nationalsozialistischen System, beide wurden mehrfach geehrt.

Im Gegensatz zu Gmelin war Scheef aber nicht beteiligt an der Selektion und Deportation der europäischen Juden in die Vernichtungslager. Gmelin wird aufgrund seiner verwandtschaftlichen Verflechtungen in Tübingen weiter verharmlost und die Scheefstraßen-Umbenennung dient als Alibi dafür, man betreibe Geschichtsaufarbeitung.

Die Tätigkeit von Gmelin in der Slowakei ist hinreichend historisch untersucht und ist publiziert worden u.a. durch Hans Jörg Lang. Eine politische Entscheidung ist überfällig.
Es ist unwürdig was die SPD macht, und wird der Persönlichkeit von Fritz Bauer überhaupt nicht gerecht, alle Hebel in Gang zu setzen, um das Thema Gmelin weiter hinauszuziehen – weil befürchtet wird, dass ein prominentes Mitglied dann verloren geht.

Solange Hans Gmelin Ehrenbürger von Tübingen ist, bleibt die Scheefstraßen-Umbenennung ein inkonsequenter Akt was die Aufarbeitung des Nationalsozialismus anbelangt. Deshalb sollten wir alle nochmal innehalten und darüber nachdenken, ob es nicht besser ist, das Thema Scheef und Gmelin zu Beginn des neuen Jahrs im Kontext zu bearbeiten und abzustimmen.

(Die vier Mitglieder der Linke-Fraktion enthielten sich bei der Abstimmung über die Zurückweisung des Einspruchs der Stimme)

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