Sehr geehrter Herr Landrat Walter, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren,
das zweite Jahr der Pandemie war alles andere als „Dienst nach Vorschrift“, weder für die Verwaltung, noch für uns als Kreistag.
Zu allererst möchte ich mich bei der Verwaltung bedanken, für die Arbeit aller Beschäftigten, die im letzten Jahr die funktionierenden Strukturen des Landkreises aufrechterhalten haben. Zuletzt der Aufbau und Einsatz von 22 Impfteams – das ist eine tolle Leistung.
Corona hat unsere traditionelle demokratische Arbeitsstruktur verändert. Wir treffen uns im virtuellen Raum, was einen Austausch und die gemeinsame Meinungs- und Willensbildung erheblich erschwert. Auch üben wir uns sehr in Zurückhaltung mit Anträgen, um keine zusätzlichen Kosten zu den nicht absehbaren Corona-Kosten zu verursachen.
Und das, obwohl die wirtschaftliche Gesamtsituation im Land und im Landkreis trotz Krise relativ stabil ist. Die Erwerbslosenquote liegt im Landkreis bei 3,5 %, also fast Vollbeschäftigung. Gemäß der Eckpunkte im Kreishaushalt erwarten wir eine steigende Steuerkraft und wachsende Schlüsselzuweisungen.
Die weitere Absenkung der Kreisumlage um 1,4 Prozent ist nicht in Stein gemeißelt. Wenn das Gesamtvolumen in allen Bereichen steigt, muss die Kreisumlage nicht sinken. Wir unterstützen natürlich, dass die Kommunen entlastet werden – aber nicht, wenn im Gegenzug § 5 des Schwäbischen Grundgesetzes bei jeden Antrag zitiert wird: wemmr gebbet, dann gebbe mer gern und reichlich – aber mr gebbet nix.
Mit unseren Anträgen schaden wir nicht den Kommunen, liebe Bürgermeisterinnen und liebe Bürgermeister, sondern unterstützen vor allem Familien mit Kindern im gesamten Landkreis, wie es Kollege Höschele bereits richtigerweise erwähnt hat. Und es sind Anträge mit Augenmaß, bei denen wir auch in der kommunalen Familie keine Schnappatmung kriegen müssen.
Die Gewinne in der Südwestindustrie liegen trotz Engpässen bei den Lieferketten in diesem Jahr 2021 um rund 4 % über (!) dem Vorjahreszeitraum. Sowohl nationale, als auch internationale Konzerne verzeichnen satte Gewinne, die kaum besteuert werden.
Weder der Städtetag noch der Landkreistag möchte, dass Großkonzerne mit hohen Renditen (trotz Pandemie) zur Kasse gebeten werden. Beide Gremien fordern weder eine Vermögensabgabe noch das Schließen von Steuerschlupflöchern. Scheinbar geht es den Kommunen und Landkreisen immer noch zu gut, wenn keine dementsprechenden Aussagen vorgetragen werden.
Der Landkreis ist zwar nur die unterste Verwaltungsebene, und setzt gesetzliche Regelungen um, die andere parlamentarische Ebenen beschließen. Aber wir sind die oberste Ebene der Mangel – und Armutsverwaltung.
Hier im Landkreis schlagen alle Probleme auf, die bisher weder von der Bundesregierung noch der Landesregierung gelöst sind.
Wir gehen sehenden Auges in eine Betreuungs- und Pflegekrise, ja, wir sind sogar schon mitten drin. Es fehlen bereits jetzt Pflegeplätze für ältere Menschen, und es wird in Zukunft eher schlechter. Von der Pflegekrise sind auch Menschen mit Behinderungen betroffen. Es fehlen Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer. Die Gesundheitsversorgung liegt am Boden. Die Personalräte der Uniklinika in Baden-Württemberg haben vergangene Woche in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Marburger Bund einen Appell an die Landesregierung gerichtet, aus der ich Ihnen einige Sätze zitieren möchte:
Zitat:
„Das System und wir Beschäftigten sind am Limit, die Patienten:innenversorgung nicht mehr gesichert. Gesundheitsversorgung ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und muss bedarfsgerecht finanziert werden. Auch die Feuerwehr wird nicht an der Anzahl der gelöschten Brände gemessen, sie muss keine Rendite erwirtschaften.“
Zitat Ende
Corona zeigt uns nicht nicht nur die Lücken in unserer Daseinsvorsorge, auch die soziale Kluft in unserer Gesellschaft ist verschärft. Denn es war ein schlechtes Jahr für Menschen in Kurzarbeit, mit gar keinem oder geringem Einkommen, ein schlechtes Jahr für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Menschen mit Behinderungen, für Alte und Kranke. Und es wird ein schlechter Start in ein neues Jahr durch steigende Mieten, allgemeine Preissteigerungen und die Inflation. Dieses Auseinanderklaffen in der Gesellschaft kritisieren wir Linke auf allen Ebenen der Politik.
Wir verwalten auf Landkreisebene eine Flickenteppich an Unterstützungsleistungen, wir optimieren Verwaltungshandeln gemäß neuer Vorgaben und um den Anspruchsberechtigten gerecht zu werden, wir bilden Runde Tische, wir setzen unzählige Expertengremien ein. Dabei wissen wir eigentlich, es hilft nur eins: mehr Geld in die Haushalte, die darauf angewiesen sind!
Oder, um es mit den Worten der Gewerkschaft ver.di zu der landeseigenen Imagekampagne „the Länd“ zu sagen: Mehr Cäsh in the Täsch!
Wir sehen, es braucht gewaltige Ausgaben im Bereich Soziales. Auch deswegen kritisieren wir, dass der gigantische Haushalt für Bundeswehr und Rüstungspolitik 2022 um weitere 7,2% erhöht wird. Er steigt dann auf 57 Mrd.
Gewaltige Ressourcen, die wir im zivilen Bereich dringend brauchen, stecken im Militär und Rüstung fest, wir brauchen Umschichtung und Stärkung und Ausbau des Zivilschutz. Deswegen begrüßen wir, dass diese logistische Leistung im Landkreis unter ziviler Leitung steht und nicht der Befehlsgewalt eines Brigadegenerals übertragen ist.
Eine Militarisierung des Corona-Managements ist kein Ausweg aus der Pandemie und auch kein Ausweg aus dem Pflegenotstand. Richtig wäre, den Bereich der Daseinsfürsorge finanziell aufzustocken.
Mein Fraktionskollege Andreas Linder hat in seiner letzten Kreisspalte auf den Umstand hingewiesen, dass es im Haushaltsentwurf der Verwaltung für den Kreistag nur sehr wenige Spielräume gibt. Wir haben dieses Jahr ein Königsrecht, aber kaum ein Gestaltungsrecht. Die meisten Ausgaben sind gesetzlich vorgegeben und bei den großen Landkreis-Aufgaben gibt es einen breiten Konsens. Das ist eine solide Basis. Wir möchten trotz Corona aber nicht den Grundsatz aufgeben, dass den Fraktionen ein Gestaltungsspielraum durch eigene Anträge zusteht.
Deswegen haben wir trotz der allgemeinen Zurückhaltung Anträge gestellt.
Wir unterstützen ohne Vorbehalt die hohen Investitionen in die Berufschulen und den Bau der Regionalstadtbahn. Und wir befürworten den notwendigen Stellenaufbau im Jugendamt und im Gesundheitsbereich. Um das Lehrpersonal in den Berufsschulen von Zusatzaufgaben zu entlasten, beantragen wir dieses Jahr nur eine IT-Stelle für die Betreuung und den Support bei der Digitalisierung. Wir freuen uns, dass dafür sogar noch eine bessere Bezahlung vorgeschlagen wird, als wir vorsichtig angesetzt hatten.
Mit dem Antrag zur Unterkunft in Weilheim ist unser Ziel, diese heruntergekommene Unterkunft durch menschenwürdige Unterkünfte zu ersetzen, und zwar nicht erst in drei oder vier Jahren. Wir wissen, dass unser Antrag für eine Planungsrate technisch nicht das Problem löst. Deshalb schlagen wir vor, dass die Verwaltung eine belastbare Absichtserklärung zu diesem Thema abgibt und eine gemeinsame Begehung der Unterkunft und Gespräche mit den Betroffenen durchgeführt werden. Der Landkreis soll ein sicherer Hafen für Menschen sein, die zu uns kommen. Und dazu gehören auch gute Wohnbedingungen.
Bei der Schülerbeförderung berufen wir uns auf unsere gemeinsam gefasste Absichtserklärung, eine weitere Senkung der Preise zur Entlastung der Familien anzustreben. Ein 365 Euro Ticket ist uns für diesen Zweck immer noch zu teuer.
Und ja, wir wissen, dass beim kostenfreien Schulessen für die SBBZ die Familien im Leistungsbezug aus dem Teilhabegesetz bereits Anspruch auf eine Kostenübernahme haben.
Aber: es gibt Familien, die knapp über dem Satz liegen und die Förderung nicht bekommen.
Bei den gewerblichen Schulen möchten wir durch den Zuschuss von einem Euro pro Mahlzeit eine Angleichung der Preise an die Höhe der Preise, den Schülerinnen und Studierende an den Tübinger Mensen bezahlen. Wir können uns allerdings auch vorstellen, das Thema im Vorfeld der Eröffnung der neuen Mensa auf dem Campus neu zu beraten, sofern wir uns hier auf eine konkrete Vereinbarung einigen. Solange das Land sich bei den Themen Essen und Schülerbeförderung aus der Verantwortung stiehlt, sehen wir im Landkreis dazu Handlungsbedarf.
In diesem Sinn wünschen wir uns konstruktive und gute Haushaltsberatungen und freuen uns, wenn Sie mit unseren Anträgen mitgehen können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Margrit Paal, Fraktion Tübinger Linke